Und wenn es die Chance deines Lebens ist
alles zu viel für sie. All diese Menschen, deren Leben am seidenen Faden hing. So viel Leid, so unendlich viel Leid. Jetzt wusste sie, was es mit diesen ganzen Rätseln auf sich hatte: Jamel hatte tatsächlich seine Finger im Spiel. Er hatte die geheimnisvollen Ausflüge für Frédéric arrangiert, um eine Begegnung zwischen Vater und Sohn herbeizuführen. Sie musste mit Dorothée darüber sprechen. Ihre Schwester würde wissen, was zu tun war. Und dann war da noch Jamel mit seinem Lächeln, das sie so sehr berührt hatte. Pétronille atmete tief durch, und als sie den Aufzug betrat, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. »Pétronille!«
Sie blockierte die Lichtschranke der sich gerade schließenden Lifttür, woraufhin Jamel hastig in den Aufzug trat. Pétronille schaute ihn an wie ein verängstigtes Kätzchen.
»Und was ist mit meinen Windbeuteln?«, fragte er lächelnd.
»Ach ja, Ihre Windbeutel«, sagte sie erleichtert.
»Hören Sie, Pétronille, es ist nicht etwa so, dass ich an Ihren guten Absichten zweifle, aber wer sind Sie?«
Pétronille starrte ihn mit großen Augen an.
»Sie haben sich nach Fabrice Nile erkundigt, und jetzt sind Sie Ernests Vertraute. Gibt es etwas, was Sie mir sagen möchten?«
»Die Schatzkarte von Fabrice Nile und die geheimnisvollen Fahrscheine und Eintrittskarten wurden Frédéric Solis vererbt, der keine Ahnung hat, woher das alles stammt. Gibt es etwas, was Sie mir sagen möchten?«, erwiderte Pétronille nach einem kurzen Moment des Schweigens, ohne den Blick von Jamel abzuwenden.
Jamel lächelte verschmitzt.
»Ich habe gleich gewusst, dass wir beide uns etwas zu sagen haben. Darf ich Sie zu einem Kaffee in der Kantine einladen?«
»Ich nehme einen grünen Jasmintee ohne Zucker. Und ich habe auch nur eine halbe Stunde Zeit, denn zu Hause wartet ein ganzer Berg Windbeutel auf mich.«
»Sie wissen genau, was Sie wollen. Einverstanden. Nach Ihnen«, sagte Jamel, als sich die Tür im Erdgeschoss öffnete.
Sie saßen in der großen Kantine des Krankenhauses an einem Tisch, und natürlich gab es hier keinen grünen Jasmintee. Jamel brachte Pétronille auf einem feuchten Tablett eine Tasse, in der ein Teebeutel aus dem Supermarkt hing.
»Da ich meinen Jasmintee nicht bekommen habe und Sie also Ihren Part der Abmachung nicht exakt eingehalten haben, ist es nun im Gegenzug an Ihnen zu beginnen.«
Jamel lächelte.
»Einverstanden.« Er seufzte und fuhr ernst fort. »Ernest wird bald sterben. Sehr bald. Sein ganzes Leben hatte erden Wunsch, seinen Sohn wiederzusehen, aber Frédéric wollte nichts von seinem Vater wissen. Und das aus völlig irrigen Gründen. Ich verdanke Ernest viel. Nun habe ich eine Möglichkeit gefunden, Vater und Sohn vielleicht zu versöhnen, ehe es zu spät dafür ist. Das ist alles.«
»Und was spielt dieser Fabrice Nile dabei für eine Rolle?«, fragte Pétronille.
Jamel schwieg und betrachtete sie lächelnd. Pétronille verstand. Jetzt war sie an der Reihe.
»Ich habe als persönliche Assistentin für Frédéric Solis gearbeitet, als er mich bat, umfassende Informationen über Fabrice Nile zu beschaffen. Er wollte auch wissen, ob es irgendeine Verbindung zwischen Fabrice und Ernest Villiers gab.«
»Haben Sie ihm von dem Krankenhaus erzählt?«, fragte Jamel, der mit einem Mal blass geworden war. »Sagen Sie mir, was Sie herausgefunden haben.«
»Über Fabrice Nile fast nichts. Nein, das stimmt nicht ganz. Im Grunde das Wesentliche, wenn man sich seine Schatzkarte genau ansieht ...« Pétronille verstummte kurz und sah Jamel in die Augen. »Sie sind es, der diese Kurse hier gibt, nicht wahr?«
Jamel nickte.
»Was haben Sie über Ernest erfahren?«, fragte er.
»Alles, glaube ich ... Simon. Giverny. Die Weihnachtsgeschenke, die immer zurückkamen. Der Brief, den Frédéric nicht gelesen hat. Sie ...«
Jamel senkte den Kopf.
»Und das steht jetzt alles in Ihrem Bericht«, sagte Jamel voll Bitterkeit.
»Und was, wenn es so wäre?«, fragte Pétronille.
»Ich weiß nicht ... Ein wenig von dem Zauber würde verloren gehen. Das ist alles. Und Frédéric würde niemals sein Gemälde bekommen.«
»Offenbar hat die göttliche Vorsehung zu Ihren Gunsten eingegriffen.«
Jamel hob den Blick und schaute ihr in die Augen.
»Frédéric Solis hat mir gekündigt, ehe ich ihm einen Bericht geben konnte. Er hat nichts von all dem erfahren.«
Jamels Miene erhellte sich wieder.
»Und jetzt zu Fabrice Nile ...«, forderte Pétronille ihn auf.
»Fabrice
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