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Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Und wenn es die Chance deines Lebens ist

Titel: Und wenn es die Chance deines Lebens ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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wie Sie mich ansehen ...«
    »Möchten Sie auch einen Windbeutel?«, fragte sie ihn stattdessen und hielt ihm die Frischhaltedose hin.
    Jamel gewann seine Fassung zurück, antwortete »nein danke« und wandte sich Ernest zu.
    »Ich wollte nur etwas holen ... hm ... ach, was wollte ich noch gleich hier holen ...?«
    »Du solltest die Windbeutel von Pétronille wirklichprobieren, dann fällt dir auch wieder ein, was du hier wolltest.«
    Ernest drückte Jamel die Hand und stellte die beiden einander vor: »Pétronille ... Jamel.«
    Kaum war er verstummt, da klopfte es, und Maurice erschien im Türrahmen.
    »Ernest, wie geht es dir? Mademoiselle, ich freue mich, Sie wiederzusehen. Jamel, hast du mal zwei Minuten für mich?«
    Gilles’ Kopf tauchte unter dem von Maurice auf.
    »Hi, Ernie«, sagte der Jugendliche.
    »Hallo, Gilles, alles in Ordnung, mein Junge?«, erwiderte Ernest.
    »Alles super.«
    Anschließend tauchte Bertrand auf, der Maurice überragte und zur Begrüßung nur kurz seinen Piratenhut zog.
    Jamel begann zu lachen, als er die drei zusammen sah.
    »Pétronille, darf ich Ihnen Caspar, Melchior und Balthasar vorstellen. Die drei Weisen aus dem Morgenland sind dem Stern von Bethlehem bis hierher gefolgt ...«, sagte er.
    »Hör mal zu, die drei Weisen aus dem Morgenland müssen mit dir sprechen. Wenn du nicht in die Bredouille geraten willst, musst du sofort kommen«, warnte ihn Bertrand.
    »Wir müssen reden«, ergänzte Maurice.
    »Krisengipfel«, fügte Gilles hinzu.
    »Okay, ich komme.«
    Ehe Jamel hinausging, sagte er zu Pétronille:
    »Ich komme wieder. Lassen Sie mir einen Windbeutel übrig.«

Pétronille rang um Fassung. Sie nahm die Windbeutel, ihre Handtasche und stammelte, Ernest sei sicherlich müde und sie müsse nun auch nach Hause fahren. Das war eine Dummheit, wenn man bedachte, welchen Eindruck Jamel auf sie gemacht hatte.
    »Danke, Pétronille, dass Sie mir zugehört haben. Wissen Sie, wenn man wie ich am Ende seines Lebens angekommen ist, tauchen so viele Erinnerungen auf, und man weiß nicht, was man damit anfangen soll, weil es niemanden gibt, dem man davon erzählen kann. Also bleiben diese Erinnerungen und verdrängen die Gegenwart. Und dann ist man erledigt.«
    Pétronille stand auf und ging auf die Tür zu.
    »Ich komme wieder, Ernest. Bewahren Sie Ihre Erinnerungen im Herzen und erzählen Sie sie mir ... nach Weihnachten.«
    Sie drehte sich um.
    »Ach ja, ich muss Ihnen schon jetzt frohe Weihnachten wünschen. Das ist ja schon in zwei Tagen ...«
    Pétronille kehrte noch einmal um und umarmte den alten Mann.
    »Frohe Weihnachten, Ernest.«
    Er sah zu ihr auf.
    »Ich wünsche Ihnen auch frohe Weihnachten. Wissen Sie was, meine liebe Pétronille: Von dem vielen Reden habe ich Hunger bekommen. Ihre Windbeutel schmecken wirklich nach mehr.«
    Pétronille stellte ihre Handtasche ab und öffnete die Frischhaltedose mit den Windbeuteln wieder. Sie durchschaute, was hinter Ernests plötzlichem Hunger steckte. Er bat sie höflich, noch ein Weilchen zu bleiben. War ihm etwa aufgefallen, dass es zwischen ihr und Jamel gefunkt hatte? Wollte er sie verkuppeln?
    »Okay, weil Sie es sind. Damit Sie nicht verhungern«, sagte Pétronille.
    »Wissen Sie, Jamel ist nicht mein richtiger Sohn.«
    Vermutlich würde Ernest ihr nun erzählen, was er bislang noch ausgespart hatte. Pétronille wollte außerdem unbedingt wissen, wer Jamel war und wie die beiden sich kennengelernt hatten. Daher nahm sie wieder auf dem Stuhl neben dem Bett Platz.
    »Ich habe Jamel in diesem Krankenhaus kennengelernt. Das ist über 20 Jahre her. Jamel und ich waren Zimmergenossen. Ich wurde hier nach einem Herzinfarkt behandelt. Jamel war 18 Jahre alt, und sein Leben war vollkommen aus dem Ruder geraten. Drogen und Alkohol hatten seine Gesundheit schwer beeinträchtigt, und er hatte sich das rechte Bein bei einem Autounfall so schlimm verletzt, dass er humpelte. Ich bekam oft Besuch von Simon, aber Jamel war ganz allein. Wir wurden Freunde. Simon und ich haben ihn sozusagen adoptiert. Oder vielmehr war er es, der uns adoptiert hat. Man sagt, dass Familie nichts mit demBlut in unseren Adern zu tun hat, sondern mit der Hand, die uns jemand reicht. Und vielleicht habe ich dem jungen Jamel die Hand gereicht, weil ... weil ich sie meinem richtigen Sohn nicht reichen konnte.«
    Pétronille beugte sich über das Bett, denn Ernests Hand zitterte. Jetzt nahm sie die Hand des kranken Mannes in ihre und nicht die seines Sohnes, wie sie

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