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Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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hat so getan, als wäre alles in Ordnung. Hat überhaupt nicht erwähnt, dass hier einer nach dem anderen krank wird oder dass es eine Quarantäne gibt oder sonst irgendwas … Als ich zuletzt mit meiner Mom gesprochen habe, hatte ich keine Ahnung, dass es vielleicht das allerletzte Mal sein könnte. Wir hatten einen ziemlich heftigen Streit darüber, ob sie an Thanksgiving einen Truthahn oder einfach nur Hähnchen machen sollte. Und jetzt ist das meine letzte Erinnerung, die ich an sie habe.«
    Ich wartete auf die richtigen Worte. Als mir keine einfallen wollten, beugte ich mich vor und drückte seine Hand, so wie er meine gedrückt hatte.
    »Tessa konnte nicht wissen, wie schlimm es werden würde. Niemand wusste das.«
    »Ja«, sagte er. »Aber du hättest es mir erzählt. Wenn zwischen uns alles okay gewesen wäre, hättest du es mir sofort erzählt.«
    Irgendwie fühlte es sich an, als würde ich Tessa verraten, wenn ich es zugab, aber ich wollte nicht lügen. »Das hätte ich«, sagte ich. »Tut mir leid.«
    Er lächelte mich kurz an, etwas weniger gequält als vorher. »Das ist nun Vergangenheit«, sagte er und griff nach dem Autoatlas. »Jetzt müssen wir uns um die Zukunft kümmern. Lass uns schon mal eure Route planen.«

    Als ich eine halbe Stunde später nach oben kam, war Tessa im Elternschlafzimmer.
    »Hey«, sagte ich. »Wie geht’s dir?
    Sie drehte sich um und strich sich ihren zu lang gewordenen Pony aus den Augen.
    »Alles okay«, antwortete sie. »Ich sollte lieber mal meine Aussaat fertig gießen.«
    »Weißt du was«, sagte ich, »ich werde auf dem Festland nach deinen Eltern suchen. Mich mal umhören. Vielleicht finde ich sie ja.«
    Mir war gar nicht klar, wie sehr ich mir wünschte, sie würde lächeln und antworten, sie wäre sich sicher, dass sie es eines Tages nach Hause schafften, bis ich ihr ernstes Gesicht sah. »Das brauchst du nicht, Kaelyn«, sagte sie. »Ich weiß, dass sie tot sind.«
    »Tust du nicht«, protestierte ich. »Sie waren vorsichtig – sie wussten schon früh über das Virus Bescheid –, sie haben ganz bestimmt gut aufgepasst. Du kannst nicht einfach davon ausgehen, dass sie es nicht geschafft haben. Mein Bruder Drew ist noch irgendwo da draußen, und ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit nicht groß ist, aber ich hab ihn noch lange nicht aufgegeben.«
    »Das ist was anderes«, erwiderte Tessa, mit einer Ruhe, die mich plötzlich frösteln ließ. »Dein Bruder könnte überall sein. Meine Eltern waren direkt auf der anderen Seite der Meerenge, als ich das letzte Mal mit ihnen gesprochen habe. Und da sind sie garantiert nicht weggegangen. Wenn sie noch leben würden, wären sie auf der Fähre gewesen. Und das heißt, sie sind tot.«
    »Tessa …«, fing ich an.
    »Ist schon gut«, sagte sie. »Ich weiß es schon, seit Leo wieder da ist. Und davor hab ich es schon wochenlang geahnt. Es hat sich nichts geändert, ehrlich. Deshalb ist es besser, nicht länger über das Thema zu reden.«
    Typisch Tessa. Nüchtern und emotionslos. Vielleicht hatte sie ja mit Leo über ihre Trauer gesprochen, bei ihm den ganzen Schmerz rausgelassen, den sie empfunden hatte, als an jenem Tag keiner ihrer beiden Eltern von der Fähre gestiegen war.
    Oder sie vergrub das Ganze so tief in sich, dass sie fast schon vergaß, dass es da war.
    »Wenn es irgendwen oder irgendwas gibt, nach dem ich für dich suchen soll, während ich fort bin …«, sagte ich.
    »Ich weiß.« Sie strich mir kurz über den Arm, als sie an mir vorbei in den Flur ging, was so ungefähr das Innigste war, das Tessa hinbekam. »Danke.«

    Ich fuhr im Geländewagen raus zum Forschungszentrum, um mich an seine Handhabung zu gewöhnen, während die Scheibenwischer in den Schneeböen hektisch über die Windschutzscheibe sausten.
    Als ich ankam, ging ich direkt ins erste Stockwerk und durchstöberte die Büros nach Fachliteratur, die mir vielleicht irgendwie nützlich sein konnte. Wenn wir die Proben nicht in einwandfreiem Zustand hielten, hatte es gar keinen Sinn, überhaupt aufzubrechen.
    Eins der Handbücher enthielt ein Kapitel über den Transport von Impfstoff. Nachdem ich es durchgelesen hatte, suchte ich so lange im Labor, bis ich in einem der Schränke eine spezielle Impfstoff-Kühlbox fand. Zusätzlich nahm ich noch eine etwas kleinere Plastikkiste, um zu verhindern, dass die Ampullen in der Box direkt mit den Kühlelementen in Kontakt kamen und einfroren. Dann stapelte ich Dads drei Notizbücher aus der Zeit, als das

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