Und wenn wir fliehen (German Edition)
waren wahrscheinlich einfach woanders hingegangen. Bis das Virus sie einholte und sie doch noch sterben mussten.
»Meint ihr, wir sollten auch ein paar von den Häusern durchsuchen?«, fragte Tessa, als wir am Ende der Straße stehen blieben, wo sie sich in Richtung zweier Wohngebiete verzweigte. »Vielleicht finden wir da noch was zu essen.«
»Wir haben nicht mehr viel Platz im Wagen«, erwiderte ich. Und Leo würde auch noch etwas mitbringen. Andererseits sollten wir uns die Chance vielleicht nicht entgehen lassen, wo wir schon mal da waren.
Während ich noch zögerte, drang über die Straße hinweg ein Geräusch zu uns. Ich erstarrte.
In einem dieser Häuser hustete jemand.
Tessa und Gav zogen ihre Schals fester vor die Gesichter. Schals waren allerdings nur dafür vorgesehen, Kälte abzuhalten und keine Killerviren. Mein Herz fing an zu pochen. »Lasst uns lieber zurück zum Hafen gehen«, sagte ich.
Gav überlegte einen Moment, dann nickte er. »Ich denke, wir kommen zurecht, wenn Leo noch was zu essen von der Insel mitbringt.«
Ich zuckte zusammen, als die Spatzen plötzlich vom Telefonkabel abhoben und blitzschnell davonflogen, aber wir begegneten keiner Menschenseele. Trotzdem stellte ich, kaum dass wir den Laster erreichten, meine Tüten ab und ging schnurstracks zur Kühlbox, die ich im Hafengebäude zurückgelassen hatte.
Sie sah noch exakt so aus wie vorher. Ich hockte mich daneben und legte den Kopf in die Hände.
Meredith und mir konnte wegen der Immunität, die wir durch die Krankheit erlangt hatten, eigentlich nichts passieren. Aber was war mit Gav, Tessa und Leo? Wenn wir uns auf der Suche nach Sprit immer an die kleineren Orte hielten, würden wir es vielleicht sogar den ganzen Weg bis Ottawa schaffen, ohne einem Infizierten in die Arme zu laufen, aber in dieser riesigen Stadt – dort wären womöglich noch mehr Menschen am Leben, als unsere Insel überhaupt jemals Einwohner hatte. Wir konnten unmöglich davon ausgehen, dass keiner von ihnen sich angesteckt hatte oder dass wir so einfach in der Lage wären, jedem Kranken aus dem Weg zu gehen.
Die einzige Alternative bestand allerdings darin, dazubleiben und unter Umständen in die Luft gejagt zu werden.
Ich ließ die Hände sinken und legte sie auf die Kühlbox. Vielleicht gab es ja noch eine weitere Möglichkeit. Wir hatten fünf Ampullen Impfstoff. Ein Wissenschaftler würde doch sicher nicht alle brauchen, um mehr davon herzustellen? Da wäre es doch bestimmt nicht zu egoistisch, ein paar davon meinen Freunden zu geben, wenn sie mir dabei halfen, den Impfstoff dahin zu bringen, wo er reproduziert werden konnte?
Unten am Wasser brummte ein Motor, an der Tür hasteten Fußschritte vorbei. Leo war zurück.
Draußen standen schon alle am Anleger, außer Tobias, der bei seinem Truck zurückgeblieben war und etwas unsicher dreinblickte. Die Nacht brach rasch herein, und die letzte Helligkeit wich aus dem rauchverhangenen Himmel. Rund um den Hafen gingen blinkend ein paar Solarlampen an.
Leo war mit dem Schnellboot zurückgekommen, also nahm ich an, dass unser Geländewagen die Sache nicht überstanden hatte. Immerhin reichte er neben Tüten mit Lebensmitteln auch die Benzinkanister heraus, die Gav und ich gefüllt hatten.
»Wie schlimm ist es?«, erkundigte sich Gav, während wir Leos Beute zum Truck beförderten.
»Das Krankenhaus steht noch«, antwortete Leo, und ich atmete erleichtert auf. »Euer Haus auch. Aber ’ne ganze Menge andere Gebäude nicht mehr. Es muss eine Explosion in der Nähe des Hafens gegeben haben. Euer Geländewagen lag auf der Seite, als wäre er ein Stück durch die Luft geflogen, und die Windschutzscheibe war völlig zersplittert. Zum Glück haben die Sachen darin alle nichts abgekriegt.«
»Hast du mit Nell gesprochen?«, fragte ich.
Er nickte. »Durch die ganzen Erschütterungen hat der Generator seinen Geist aufgegeben. Sie wollte gerade nachsehen, ob sie ihn vielleicht wieder reparieren können oder ob sie anfangen müssen, die Patienten zu verlegen.«
»Was ist mit Mowat und Fossey?«, wollte Meredith wissen. »Lassen wir die etwa einfach da?«
»Sie kamen sofort angerannt, als ich ins Haus bin«, sagte Leo. »Schienen ganz schön happy darüber zu sein, sturmfreie Bude zu haben. Ich hab ihnen die Futtertüten auf den Boden gestellt, damit sie so viel fressen können, wie sie wollen.«
»Danke«, sagte ich, während mich eine zweite Welle der Erleichterung überkam, und er warf mir ein verhaltenes
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