Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und wenn wir fliehen (German Edition)

Und wenn wir fliehen (German Edition)

Titel: Und wenn wir fliehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
Vom Netzwerk:
hätte ich nicht …«
    »Hört auf!«, brüllte ich. Meine Stimme schien in der nachfolgenden Stille widerzuhallen. Ich fuhr mir mit den Händen durch die Haare.
    Wenn wir uns weiter so zankten, würden wir es nie bis in die Stadt schaffen. Womöglich war der Truck jetzt unbrauchbar.
    Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Mann in der Scheune, zu der Entscheidung, die er für seine gesamte Familie getroffen hatte, und ich schob das Bild wieder weg. Dass ich jetzt ein solches Machtwort sprach, machte mich kein bisschen so wie er. Denn ich hielt uns am Leben.
    »Wir müssen irgendwie nach Toronto kommen«, sagte ich. »Alles andere ist unwichtig. Also werden die Leute, die einen Führerschein haben, fahren, und die, die keinen haben, nicht. Und darüber werden wir nicht weiter streiten. Wir werden gar nichts tun, was uns nicht näher an die Stadt bringt oder uns davor bewahrt zu verhungern. Und wem das nicht passt, der kann gerne hierbleiben und machen, was er will. Ist das klar?«
    Ich hatte mich anscheinend noch wütender angehört, als ich eigentlich war. »Nichts dagegen einzuwenden«, antwortete Leo kleinlaut, und Gav sagte: »Tut mir leid, ich hab mich gehenlassen.« Tobias nickte und sah auf seine Füße. Im nächsten Moment ließ Justin die Schultern sinken und brummelte: »Okay. Hab’s kapiert.«
    Wir liefen alle zu der Stelle, wo der Schlüssel hingefallen war, und griffen suchend in den Schnee. Ich sah hinauf zum Himmel und betete. Bitte, lass den Tag nicht so enden.
    Da stieß Leo einen Siegesschrei aus und hob den Schlüssel auf. Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ ich mich zurück auf die Fersen sinken. Gav richtete sich auf und nahm den Schlüssel von Leo entgegen. Dann streckte er die Hand aus und legte sie mir auf die Schulter.
    »Toronto, wir kommen.«

Zwanzig
    Die letzten Stunden, bevor wir Toronto erreichten, verflogen gemeinsam mit den kleiner werdenden Kilometerzahlen auf den Highwayschildern, an denen wir vorbeikamen. 213. 136. 94. 48.
    Als wir uns der Stadt näherten, ersetzten nach und nach Gebäude die Wälder und Felder, die den größten Teil unserer Reise die Straße gesäumt hatten. Die Sonne versank, und es begann schon dunkel zu werden, doch keiner von uns sprach vom Anhalten. Wir hatten fast keine Pause gemacht, seit wir am vorigen Morgen in den Truck gestiegen waren, bis auf das eine Mal, als wir nachmittags in einer kleinen Stadt hielten, um Benzin abzusaugen und in den Häusern nach Lebensmitteln zu suchen. Ansonsten hatten wir uns mit Fahren und Navigieren abgewechselt, je nachdem, wer gerade hinten saß und versuchte, ein bisschen zu schlafen.
    Im Moment fuhr Tobias, der sich im Mondschein und mit dem Strahl des Fernlichts gut zurechtfand. Ich sah von meinem Platz in Mitte des Rücksitzes aus dem Fenster, nur noch halb wach, aber zu aufgedreht, um zu schlafen. Hier und da flimmerten in der Ferne Lichter. Lampen vielleicht, oder Feuer. Mit jedem Blick darauf stieg meine Hoffnung. Licht bedeutete Menschen. Einen so großen Teil unserer Reise hatten wir versucht, es zu vermeiden, andere Menschen zu treffen, doch jetzt hing unser Vorhaben genau davon ab. Davon, die richtigen Leute zu finden, und zwar hier.
    Das Schild, das uns am Stadtrand begrüßte, war so sehr mit gefrorenem Schnee verkrustet, dass ich nur mit Mühe erkennen konnte, was darauf stand. »Wir sind da!«, rief ich. »Wir haben es geschafft!«
    Justin schlug vor sich auf das Armaturenbrett, Tobias streckte eine Siegerfaust in die Luft, und Leo gab ein mattes »Juchhu!« von sich. Gav, der an meiner Schulter schlummerte, bewegte sich.
    »Bin ich mit Fahren dran?«, murmelte er.
    »Schlaf ruhig weiter«, antwortete ich und lehnte meinen Kopf an seinen. »Das mit dem Fahren ist gleich vorbei.«
    Stattdessen richtete er sich auf und blinzelte.
    »Was denkst du, wo wir abbiegen sollen?«, fragte Tobias.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. Ich war die Einzige von uns, die einmal in Toronto gewohnt hatte, aber die Größe und Hektik der Stadt hatten mich damals so sehr eingeschüchtert, dass ich das West End eigentlich nie verlassen hatte. Ich spähte ein wenig benommen durch die Scheibe. »Es hat keinen Sinn, mitten in der Nacht noch jemanden zu suchen. Ich denke, wir sollten uns einen Schlafplatz besorgen und morgen früh damit anfangen.«
    Justin antwortete mit einem riesigen Gähnen. »Schlafen hört sich gut an.«
    »Wir müssen vermeiden, dass der Truck irgendwem auffällt«, sagte Leo. »Der gibt eine

Weitere Kostenlose Bücher