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Undank Ist Der Väter Lohn.

Undank Ist Der Väter Lohn.

Titel: Undank Ist Der Väter Lohn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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um Schlaf zu fördern. Wenn sie überhaupt zu Bett ging, döste sie nur vor sich hin. Meistens jedoch wanderte sie des Nachts entweder wie ein Gespenst durch die Gänge oder saß in dem Lehnsessel im gemeinsamen Schlafzimmer und beobachtete den unruhigen Schlummer ihres Mannes.
    In dieser Nacht hockte Nan im Schlafanzug und mit einer handgestrickten Decke um die Schultern im Sessel und starrte unverwandt ihren Mann an, der sich ruhelos im Bett hin und her warf. Sie konnte nicht erkennen, ob er wirklich schlief oder nur so tat, als ob. Aber eigentlich war ihr das im Moment auch egal. Sein Anblick weckte in ihr eine Vielfalt von Emotionen, die zu betrachten wichtiger war als die Frage, ob ihr Mann wirklich schlief oder nicht.
    Sie begehrte ihn immer noch. Ungewöhnlich, daß sie nach all diesen Jahren noch genauso nach ihm verlangte wie früher, aber so war es. Dieses Verlangen hatte bei keinem von ihnen beiden je nachgelassen. Eher schien es mit der Zeit noch gewachsen zu sein, als hätte die Leidenschaft, die sie füreinander empfanden, im Laufe ihrer langjährigen Ehe an Intensität gewonnen.
    Daher war es ihr natürlich sofort aufgefallen, als Andy plötzlich aufhörte, sich ihr nachts zuzuwenden; als er sie nicht mehr an sich zog und mit der ruhigen Sicherheit und Vertrautheit, die aus ihrer langen und glücklichen Ehe erwachsen war, in die Arme nahm.
    Ihr graute vor dem, was diese Veränderung bedeutete.
    Sie hatte das schon einmal erlebt – Andys plötzliches Desinteresse an diesem fundamentalen Bestandteil ihrer Beziehung –, doch es war schon so lange her, daß Nan gern glaubte, sie hätte es längst vergessen. Aber so war es in Wirklichkeit nicht, und im sicheren Schütze der Dunkelheit konnte Nan sich das eingestehen.
    Er hatte im Rahmen einer großangelegten Aktion gegen die Drogenmafia als verdeckter Ermittler gearbeitet. Sexuelle Verführung war Teil des Szenarios gewesen. Um seine ihm zugewiesene Rolle absolut überzeugend zu spielen, hatte er auf alle Avancen, die ihm gemacht wurden, eingehen müssen, ganz gleich, welcher Natur sie waren. Und einige dieser Annäherungsversuche waren eindeutig sexueller Art gewesen ... »Was hätte ich denn anderes tun sollen, wenn ich nicht entlarvt werden wollte?« hatte er später gefragt. Wie hätte er anders handeln können, ohne die ganze Operation zu verraten und das Leben seiner Kollegen aufs Spiel zu setzen?
    Spaß habe er dabei überhaupt keinen gehabt, hatte er erklärt, als er ihr gebeichtet hatte. Sie hätten ihm wirklich nichts bedeutet, diese Mädchen mit den straffen jungen Körpern, die seine Töchter hätten sein können. Was er getan hatte, hatte er getan, weil es von ihm verlangt wurde, das wollte er seiner Frau unmißverständlich klarmachen. Mit Genuß oder Vergnügen sei ein solcher Akt nicht verbunden. Man sei einzig darauf bedacht, ihn hinter sich zu bringen, alles Gefühl fehle, wenn er nicht aus Liebe vollzogen werde.
    Das waren hehre Worte. Sie forderten Mitgefühl, Verzeihung, Akzeptanz und Verständnis von einer intelligenten Frau. Aber sie hatten Nan damals auch veranlaßt, sich zu fragen, warum Andy es überhaupt für notwendig gehalten hatte, ihr zu beichten.
    Die Antwort auf diese Frage hatte sie im Laufe der Jahre erfahren, als sie ihren Mann mit all seinen persönlichen Eigenarten allmählich so genau kennengelernt hatte, wie sie nie geglaubt hätte, daß man einen anderen kennenlernen könnte. Sie hatte gesehen, wie er sich verändert hatte, wenn er sich selbst untreu geworden war. Eben deshalb war der Dienst beim SO10 schließlich zum Alptraum geworden: weil er tagaus tagein, Monat um Monat, gezwungen war, Rollen zu spielen, die seinem wahren Wesen nicht entsprachen. Seine Arbeit verlangte von ihm, über lange Zeiträume hinweg eine Lüge zu leben, aber seine Seele gestattete die Verstellung nicht, ohne von seinem Körper einen Preis zu fordern.
    Anfangs war es leicht gewesen, diese Forderungen der Seele unbeachtet zu lassen, sie als allergische Reaktion auf irgend etwas oder als Vorboten des nahenden Alters abzutun. Der Gaumen wird alt, also schmeckt das Essen nicht mehr richtig, man muß eben kräftiger würzen. Und was bedeutete es schon groß, wenn man den zarten Duft nächtlich blühenden Jasmins nicht mehr wahrnahm? Oder den modrigen Geruch einer Dorfkirche? Diese kleinen Hinweise auf einen Verlust der sinnlichen Wahrnehmung waren leicht zu ignorieren und zu übersehen.
    Aber dann wurde es schlimmer; Störungen traten auf,

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