Undead 02 - Suss wie Blut und teuflisch gut
monströs überdimensionierten Singlehaushalt fest.
Mit mir!
Schnell lief ich zu ihr hin, kniete nieder und nahm sie in die Arme. Und hätte sie fast sofort wieder losgelassen, denn es fühlte sich an, als umarmte ich eine Eisskulptur. Aber wenigstens konnte ich sie jetzt berühren. »Nicht weinen«, sagte ich in ihr winziges, perfekt ge-formtes, geisterhaftes Ohr. »Das kriegen wir schon wieder hin.«
Sie schniefte und drückte mich ebenfalls. Ganz schön fester Griff für so ein kleines Mädchen! »Nein, das stimmt nicht. Das kriegt niemand wieder hin.«
»Wir sind nicht wie die anderen Leute, die in diesem Haus gelebt haben«, bemerkte Sinclair.
Ich drehte mich zu ihm um und zog Marie auf meinen Schoß. »Ach, auf einmal kannst du sie hören?«
»Ja. Zuerst nur sehr leise, aber jetzt kann ich sie sehr gut hören und auch sehen.« Er warf mir einen seltsamen Blick zu. »Dank dir.«
»Ach, hör schon damit auf. Hör mal, Marie, gibt es einen Grund, warum du hier herumspukst? Musst du deine . . .
Knochen oder so was finden?«
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»Nein.«
»Das wäre schon in Ordnung.«
»Die perfekte Beschäftigung für eine Sonntagnacht«, murrte Sinclair.
Ich ging nicht auf ihn ein, sondern erwärmte mich immer mehr für das Thema. »Genau! Wir suchen alle. Und dann, wenn wir deine . . . dich gefunden haben, können wir dich anständig beerdigen, und du kommst in den Himmel!«
»Ich bin im Vorgarten beerdigt«, sagte sie, »unter dem Zaun auf der linken Seite, bei der großen Ulme.«
Ich versuchte, nicht zu würgen. Leichen kleiner Mädchen in meinem Vorgarten! Jesus! »Das ist . . . äh . . . « Ich war sprachlos.
»Marie«, sagte Tina und hockte sich auf Augenhöhe vor sie hin, »warum bist du hier, Schatz?«
»Ich warte auf meine Mutter.«
»Und wann bist du . . . wann haben die Leute aufgehört, dich zu sehen?«
Marie sah verwirrt aus. »Ich bin fünf«, sagte sie. »Das ist schon sehr lange her.«
Tina versuchte es noch einmal. »In welchem Jahr bist du geboren?«
»Mein Geburtstag ist im April«, sagte sie stolz, »der Diamant ist der Aprilstein. Zehnter April neunzehnhun-dertfünfundvierzig.«
Nach einer Pause sagte Tina taktvoll: »Nun ja, Süße, höchstwahrscheinlich ist deine Mutter bereits tot. Warum versuchst du nicht, sie zu finden? Ich bin sicher, dass sie auf dich wartet.«
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»Sie ist nicht tot«, sagte Marie feierlich und starrte Tina mit tränenverhangenen Augen an.
»Wie willst du das wissen?«, fragte ich neugierig.
»Weil ich noch hier bin.«
»Und du bist die ganze Zeit hier gewesen?«
Sie nickte.
»Heilige Scheiße«, stellte ich fest. Wie der kleine Irre in The Sixth Sense! Ich sah tote Menschen!
Endlich ergab alles einen Sinn. Dass das Haus von einem Besitzer zum anderen wechselte. Dass der Besitzer so dringend verkaufen wollte. Dass er mit dem Preis ständig runterging. Dass Marie weder mit mir trinken noch essen wollte. Dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit auftauchte.
Vielleicht konnten ja normale Menschen Marie nicht sehen, aber sie mussten gespürt haben, dass etwas nicht stimmte, weil dieses Haus seit Jahren zum Verkauf gestanden hatte.
»Können wir«, ich schluckte, »können wir dich wieder ausgraben und woanders hinbringen?«
Marie zuckte mit den Achseln.
Merken und auf die To-do-Liste setzen: totes Kind SOFORT ausgraben und AUS DEM VORGARTEN BRINGEN.
»Das ist alles wirklich hochinteressant«, bemerkte Sinclair, »und verdient eine genauere Untersuchung. Aber wir haben Arbeit.«
»Eric Sinclair, du herzloser Bastard!« Ich schlug die Hand vor den Mund. »Scheiße, das hätte ich nicht sagen sollen!
Scheiße, auch das hätte ich nicht sagen sollen!«
Marie kicherte hinter vorgehaltener Hand. »Ist schon gut«, sagte sie zu mir, »ich kenne diese Wörter. Als einmal 182
ein paar Arbeiter den Keller renoviert haben und einer einen Betonblock auf seinen Fuß fallen ließ . . . «
»Okay, den Rest kann ich mir denken.«
»Nimm es nicht persönlich, Liebes«, sagte Sinclair freundlich zu Marie, »aber wir haben ein paar Angelegenheiten zu regeln, die ein bisschen dringender sind.«
»Arschloch«, hustete ich in meine Handfläche.
»Immerhin ist sie seit über einem halben Jahrhundert hier«, stellte er fest. Dann sah er Marie direkt an. »Wir werden dich nicht vergessen.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte sie sofort. »Betsy kann mich sehen. Von Anfang an konnte sie mich sehen. Und sie kann mich berühren. Du kommst doch zurück, oder?«
»Darauf
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