Undead 02 - Suss wie Blut und teuflisch gut
Zeit.«
»Ha!«
»Stimmt was nicht?« Das war Jessica, die die Treppe heruntergerannt kam. Obwohl ich sie nicht sehen konnte, wusste ich doch, wo alle standen. Erstaunlich. Genauso erstaunlich war es, dass der Morgen graute und sie immer noch auf mich gewartet hatten. Und es war auch erstaunlich, dass dieses achtzig Jahre alte Sofa nach Popcorn roch.
»Gab es schon wieder einen Mord?«
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»Nein«, sagte Tina, »wir haben heute Nacht ein paar Vampire getroffen, die erst kürzlich in die Stadt gekommen sind. Es . . . äh . . . ist nicht so gut gelaufen.«
»Das ist richtig«, sagte Sinclair und setzte sich neben mich. »Und das ist sehr interessant.«
Ich drehte mich auf die Seite und warf ihm einen wütenden Blick zu. »Interessant?«
Die Vampire hatten mich angestrengt ignoriert, und die feindliche Stimmung hatte die Raumtemperatur so weit heruntergekühlt, dass ich Gänsehaut bekam.
Oh, sie zeigten sich Sinclair gegenüber sehr ehrerbietig. Wir hörten jede Menge »Mein König« hier und »Euer Majestät« da, aber niemand sprach mit mir. Was für ein arrogantes Pack.
»Sie sind nur neidisch«, sagte Tina, bevor Sinclair antworten konnte. Sie setzte sich auf einen Stuhl gegenüber der Couch – diese Eingangshalle war praktisch unser viertes Wohnzimmer – und betrachtete mich mitleidig. »Noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte war ein Vampir in der Lage, das zu tun, was Ihr tut.«
»Und?«
»Betsy, jeden Tag tragt Ihr ein Kreuz um den Hals! Als Schmuckstück! Die meiste Zeit kann ich Euch kaum ansehen.«
»Oh, jetzt fühle ich mich wirklich besser.«
»Ihr wisst, wie ich das meine«, sagte sie freundlich. »Und zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, dass alles sehr schnell gegangen ist. Die meisten waren seit über hundert Jahren Nostro treu ergeben gewesen. Ihr aber seid erst seit drei Monaten an der Macht.«
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»Das gilt auch für Sinclair«, bemerkte ich, »und ihn haben alle sofort akzeptiert.«
»Hmm«, sagte Tina. Mehr fiel ihr dazu nicht ein.
»Es sind Arschlöcher, aber das wusstest du vorher«, sagte Jessica. »Warum trifft dich das nun?«
»Gute Frage. Ich weiß es nicht. Es war einfach eine Scheiß-
woche. Und ich habe vergessen, dass ich eigentlich heute Abend arbeiten sollte. Jetzt habe ich Macy’s schon zum zweiten Mal versetzt. Mein Chef wird das nicht sehr lustig finden. Und die anderen – die anderen Vampire – haben sich mir gegenüber wirklich . . . kalt gezeigt. Unser Hotel-zimmer befand sich quasi mitten in der Antarktis.«
»Eigentlich sieht alles recht vielversprechend aus«, sagte Sinclair. »Wir haben unser Motiv.«
»Was? Haben wir das?«
»Ich war neugierig, wie fremde Vampire auf dich reagieren würden. Deshalb war deine Anwesenheit heute Nacht auch notwendig. Und es ist ganz offensichtlich, dass du viel Unmut in der Gemeinschaft erregst.«
»Alles Weicheier.«
»Ich nehme an, es ist ein Preis auf deinen Kopf ausge-setzt. In der Tat . . . « Er machte eine Pause. Wahrscheinlich überraschte es ihn, dass er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. »In der Tat vermute ich, dass die Morde Teil eines Plans sind, dich aus dem Weg zu räumen.«
»Was?«, keuchten Marc, Jessica und ich einstimmig.
Tina rieb sich die Augen. »Ja«, sagte sie leise, »es passt alles zusammen, oder?«
»Sind deshalb auch all die anderen Opfer Frauen gewesen?«, fragte Marc skeptisch.
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Jessica fuhr dazwischen: »Aber warum sollte jemand überhaupt andere Vampire töten?«
»Übung«, sagte Tina. »Um sich langsam zu Euch, Majestät, vorzuarbeiten.«
»Das ist das Schrecklichste, was ich je gehört habe!« Ich setzte mich auf. Der Gedanke war entsetzlich. »Das kann nicht stimmen. Niemals!«
»Es ergibt Sinn. Sehr viel Sinn«, sagte Jessica ruhig.
»Nein. Das ist . . . das ist einfach falsch. Aus ungefähr dreißig verschiedenen Gründen.« Menschen zu töten, um sich daran zu gewöhnen? Um sich zu mir vorzuarbeiten?
Ich fühlte mich plötzlich sehr schuldig. Arme Jennifer! Sie war noch nicht einmal ein echtes Opfer gewesen, sondern nur ein Übungsobjekt! »Nostro war für ungefähr eine Million Jahre an der Macht gewesen, und nie hatte jemand versucht, ihn zu stürzen. Im Frühjahr erscheine ich auf der Bildfläche, und schon ist die Jagdsaison eröffnet?«
»Kurz gesagt: ja.«
»Aber . . . «
»Vielen Vampiren macht Ihr Angst«, sagte Tina. »Ihr geht Euren eigenen Weg. Ihr seid nicht auf den Schutz anderer angewiesen. Ihr braucht keine menschliche
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