Undead 03 - Happy Hour in der Unterwelt
aber sicher noch mehr, aufgrund ihrer Familiengeschichte.«
Ich bemerkte, dass alle mich anstarrten. »Was? Ich kann mich in sie hineinversetzen. Und in ihre geschmacklosen Klamotten. Ich kann sie nicht leiden und ich bin ganz sicher der Meinung, dass sie meine kleine Schwester nicht in einem Krankenhauseingang hätte aussetzen sollen, aber trotzdem tut sie mir leid.«
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»Hm«, sagte Jessica. Sie trank und aß nichts, sondern saß einfach nur am Tisch mit uns anderen, die knochigen Arme vor der Brust verschränkt. »Hör mal, Tina, du sagtest, du weißt, was in den Monaten passiert ist, als Ant non compos mentis war?«
Tina antwortete nicht. Langsam wurde die Stille unbehaglich.
»Äh, Tina? Hallo?«
Sinclair seufzte.
»Hoppla«, sagte Marc zu seinem Tee.
»Elizabeth«, begann er, »es gibt da etwas, was ich dir sagen muss.«
Vorsichtig stellte ich meine Tasse ab. Das verhieß nichts Gutes. Ich erwartete nicht so etwas zu hören wie: »Ich habe dir sechs Dutzend Blumen gekauft und vergessen, dass du kein Gelb magst«, sondern eher so etwas wie: »Übrigens, du bist von nun an Königin« oder »Hey, ich ziehe ein.«
»Spuck’s aus«, sagte ich. Ich hätte gerne tief Luft geholt, um mich zu sammeln, aber das hätte mich nur schwindelig gemacht.
»Es ist . . . eine Privatangelegenheit.«
»Na klar«, sagte Marc, stand auf und zog Jessica von ihrem Stuhl hoch. »Wir gehen schon.«
»Na klar«, schaltete Jessica schnell, »wir werden mal . . .
äh . . . etwas abstauben gehen. In einem der anderen Räume.«
Sie eilten hinaus und ich hörte sie flüstern »Sie sagt es uns später ohnehin.«
»Vielleicht auch nicht«, sagte Tina.
»Ich hatte einen Hintergedanken, als wir zu deiner Stiefmutter gingen.«
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»Nein!? Ehrlich? Du!? Einen Hintergedanken!? Nie im Leben!«
»Das Buch der Toten spricht von deiner Schwester.«
»Woher weißt du das? Ich dachte, wenn du zu viel in diesem Ding liest, wirst du verrückt.«
»In den letzten Jahrzehnten habe ich immer mal wieder darin gelesen.«
Das musste ich erst einmal verdauen. »Okayyyyy. Das Buch wusste also, dass ich irgendwo da draußen eine Schwester habe.« Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. »Und du wusstest ebenfalls, dass ich eine Schwester habe.«
»Ja.«
»Du wusstest, dass ich eine Schwester habe.« Ich glaube, ich dachte, dass es weniger schmerzen würde, wenn ich es nur laut genug sagte. »Du wusstest, dass ich eine Schwester habe.«
»Ja. Bis heute dachte ich allerdings, dass die besagte Schwester das Baby wäre, mit dem deine Stiefmutter jetzt schwanger ist.« Und dann fügte er noch hinzu, ganz ruhig: »Ich habe überlegt, wie ich es dir beibringen kann.«
»Eric!«, rief Jessica aus dem Flur. »Was hatten wir bespro-chen?« Sie kam angerannt, Marc auf den Fersen. »Was ist nur los mit dir? Da reiße ich mir ein Bein aus, um es dir leichter zu machen, und was machst du? Genau so etwas macht sie wütend. Sauer, fuchsteufelswild!«
»Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten«, sagte ich mit tauben Lippen, »dass ich gerade jetzt fuchsteufelswild bin.«
»Ihr hattet so viele andere Dinge um die Ohren«, sagte Tina schnell. Wie üblich versuchte sie Sinclairs Arsch zu retten.
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»Erst wurdet Ihr Königin, und dann musstet Ihr im Sommer diese Morde aufklären, und dann war da noch die Frage, wer mit wem zusammenwohnt, und die anderen Vampire, die Euch nicht respektiert haben, und das alles . . . Deswegen musste er zu Eur. . . nicht so wichtig. Er . . . wir dachten, Ihr hättet genug zu tun und wolltet Euch nicht auch noch Sorgen darüber machen, dass Eure Schwester die Tochter des Teufels ist und die Weltherrschaft übernehmen wird.«
Ich hielt meine Teetasse in beiden Händen und zerquetschte sie aus Versehen wie einen Käfer. Jessica zuckte zusammen.
Marc glotzte uns alle an: »Wie bitte?«
Tina biss sich auf die Lippe. »Oje.«
»Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte Sinclair trocken.
Jessica wischte Kekse und Cracker von einem Silbertablett, umrundete den Tisch und schlug es Sinclair auf den Kopf.
Mit einem dumpfen Bong beulte das Silber ein. Sinclair drehte sich nicht um, sondern sah mich weiter mit dunklem, festem Blick an.
»Tiefer«, sagte ich.
»Betrachte dich als zwangsgeräumt«, sagte sie zu ihm.
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9
Die Sonne würde bald aufgehen, also beschloss ich, mich bettfein zu machen. Eigentlich wollte ich lieber mit Jessica darüber reden, was in dieser Nacht geschehen war, aber nach ihrem Angriff auf
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