Undercover Lover
und wollte am liebsten weinen. Selbst in seinen Augen spiegelte sich seine Sorge um sie wider, und sie fühlte sich so unendlich schuldig. Nevin trat näher, doch Kaylin hob abwehrend ihre Hände. Er ließ sich davon nicht abhalten und zog sie fest an sich, umarmte sie, und alles, woran sie denken konnte, war sein vertrauter Duft. Bei ihm fühlte sie sich sicher, geborgen und verstanden. Ihre Schultern bebten und genau das, was sie vermeiden wollte, brach in einer Tränenflut aus ihr heraus. Sie erzählte ihm von dem Mann, der ihre Welt auf den Kopf gestellt hatte, von dem sie kaum etwas wusste und dem sie doch nicht widerstehen konnte. Kaylin erzählte Nevin von diesem Mann, von dem sie nicht einmal wusste, ob sie Gefühle für ihn hatte oder ob er nur in einem denkbar schwachen Moment in ihr Leben eingefallen war. Sie nannte keinen Namen, aber das war auch nicht wichtig, all die skurrilen Ereignisse, diese sexuelle Gier und ihr Unvermögen, Nein zu ihm zu sagen, sprudelten wie ein Wasserfall über ihre Lippen. Kaylin erzählte ihm unter Tränen alles, und Nevin hielt sie fest in seinen starken, beschützenden und sicheren Armen.
Nach einer Weile hob sie ihr Gesicht, sah ihn an und hoffte, etwas darin lesen zu können. Tief in sich spürte sie das Verlangen danach, Eifersucht in seinen Augen zu erkennen, Wut darüber, was sie getan hatte. Einen Vorwurf, weil sie ihm untreu war. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie nur Schmerz darin, dann wurde seine Mimik unergründlich. Es geschah nicht zum ersten Mal, dass Kaylin diese unsichtbare Mauer zwischen ihnen spürte, die Nevin zwischen ihnen gezogen hatte. Die Fingerspitzen auf ihre Lippen gelegt, erstickte er ihr Bedürfnis, sich erklären zu müssen. Welches Recht besaß sie, von ihm die Reaktion von Kränkung zu erwarten, wo sie doch nie mehr als Freunde füreinander gewesen waren? Nevin löste die Umarmung und setzte sich. Kaylin fühlte sich schwach und verletzlich, blieb stehen und suchte seinen Blick.
„Liebst du ihn?“
Die Frage stach mitten in ihr Herz, und als würde ein Messer von links nach rechts in der imaginären Wunde gedreht, schwankte sie.
„Ich weiß doch gar nichts über ihn.“
„Das war keine Antwort auf meine Frage, Kay. Es ist ganz simpel und einfach.“
Sie lachte kalt auf.
„Ich bin so durcheinander und verwirrt.“
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder du empfindest etwas für ihn oder eben nicht.“
„So einfach ist das nicht.“
„Hm.“
„Er ist …“
Selbst um ihn zu beschreiben, fehlten ihr die Worte. Nevins Schweigen, sein Warten auf eine direkte und konkrete Antwort, verletzten sie, und Kaylin wusste nicht, warum das so war.
„Ich weiß es nicht.“
Sie warf die Hände hilflos in die Luft.
„Ich weiß es einfach nicht.“
Abermals war ihr nach Weinen zumute, und sie vergrub das Gesicht in ihren Händen.
„Dann solltest du es schnellstens herausfinden, bevor er dich ernsthaft verletzt.“
Warum klang Nevin so kalt? Er wirkte distanziert, dabei brauchte sie ihn jetzt, ihn und seine Wärme, seine Nähe! Im nächsten Moment wurde ihr klar, wie egoistisch sie sich aufführte. Kaylin schluckte hörbar und schniefte. Sie betrachtete die silbernen Ringe an seinen Fingern, als er sich erhob.
„Ich muss gehen, Kay. Bist du wieder okay?“
Gerade zog er das imaginäre Messer aus ihrer Brust, und sie blutete bildlich vor sich hin. Wie ferngesteuert nickte sie, sah zu, wie er zur Tür ging. Er lächelte auf eine seltsame Art.
„Du solltest dich zusammenreißen und dafür sorgen, dass er mit dir redet und deine Fragen beantwortet.“
Wieder nickte sie stumm, war dankbar, dass er zum Schluss doch noch der vernünftige Freund war, den sie gebraucht hatte. Aber warum fühlte sie sich dann immer noch so schlecht?
„Kannst du nicht bleiben, wenigstens noch ein bisschen?“
„Ich muss los.“
Nevin schloss die Tür hinter sich und atmete tief durch. Seine Kiefermuskeln arbeiteten, und eiligen Schrittes verließ er das Apartmentgebäude. Für eine Weile saß er mit geschlossenen Augen wie erstarrt hinter dem Steuer seines Wagens. Als würde plötzlich ein Vulkan aus ihm herausbrechen, prügelte er mit den Fäusten wütend auf sein Lenkrad ein. Doch es half nicht gegen den inneren Schmerz. Die Eifersucht kochte in seinen Adern und trieb ihn zur Verzweiflung. Doch mit welchem Recht? Sie waren verdammt noch mal nur Freunde! Sie konnte tun, was sie wollte und mit wem. Zum ersten Mal seit Jahren war es ihm
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