Undercover Lover
gefühlten tausendsten Mal auf den Wecker, und ich höre und sehe gar nichts von dir. Sweets, du siehst krank aus. Hast du was gegessen?“
Kaylin hätte sich beim Gedanken an Essen gleich wieder übergeben können. Tara befühlte die kühle Stirn ihrer Freundin.
„Tja, hohe Temperatur scheint nicht auf deine Stimmbänder zu schlagen. Sag mir, was los ist? Brauchst du einen Arzt? Soll ich dir was aus der Apotheke besorgen?“
Sie konnte Tara einfach nicht sagen, dass sie gehen sollte. Wortlos stand Tara auf, schüttete die volle Kanne Kaffee in den Ausguss und kochte Wasser für Tee auf. Selbst jetzt konnte sie nicht einmal reagieren. Sie fühlte sich so leblos und leer. Obwohl Kaylin notorisch kaffeesüchtig war, saß sie still da und trank nicht mal die lauwarme Brühe in ihrer Tasse. Tara verlor die Geduld.
„Scheiße, ich ruf jetzt die Ambulanz, und die sollen dich im Krankenhaus durchchecken. Das sehe ich mir nicht länger mit an.“
Kaylins Hand zuckte so schnell zu Taras Arm, dass sie erschrocken zurückprallte.
„Mir geht es gut.“
„Ja, das sehe ich. Du bist das blühende Leben in Person und jubelst mehr innerlich. Sweets, bei aller Freundschaft, aber ich sehe, dass es dir nicht gut geht. Es ist okay, wenn du dir eine Auszeit nimmst. Aber dass du dich nicht meldest, sieht dir nicht ähnlich. Rede mit mir, Kaylin, sag mir, was mit dir passiert.“
Sie sah in Taras Gesichtszügen, dass sie einen erbärmlichen Eindruck auf sie machen musste. Kaylin zwang sich zu einem Lächeln.
„Muss wohl was Falsches gegessen haben.“
Essen? Sofort zuckte Taras rechte Augenbraue in die Höhe.
„Wo warst du essen?“
„Ist doch egal!“
„Sag mir nicht, du warst mit deinem neuen Lover am Pier, bei diesem Laden, den das Gesundheitsamt schon dreimal dichtgemacht hat?“
„Weiß ich nicht mehr.“
„Du solltest wirklich zu einem Arzt. Eine Lebensmittelvergiftung kann echt übel werden.“
„Tara, mir geht es schon besser, ich brauch nur noch ein bisschen.“
„Soll ich dir eine Hühnersuppe kochen?“
Kaylin rollte mit den Augen. Tara sah ihr tief in die Augen und schüttelte den Kopf.
„Ja klar, Lebensmittelvergiftung … Sagst du mir jetzt, was wirklich mit dir los ist? Hältst du mich für eine so miese Freundin, dass ich deine Lüge nicht durchschaue?“
„Du bist keine miese Freundin, und ich bin dankbar, dass du hier bist, aber ich brauche eine Pause. Das war in letzter Zeit einfach zu viel, und ich kann nicht mehr.“
Tara umarmte sie, streichelte ihren Kopf und küsste ihre Stirn.
„Eric fehlt uns allen, aber du hattest noch keine Zeit, wirklich um ihn zu trauern. Der Stress, die Arbeit … früher oder später musstest du ja zusammenklappen wie ein Gartenstuhl.“
Kaylin schnaubte in Taras Armen.
„Mach dir um den Laden keine Sorgen, wir schaukeln das Schiff schon. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, okay? Kann ich denn gar nichts mehr tun?“
Kaylins Kopfschütteln ließ sie nicken. Tara stand auf, berührte die Wange ihrer Freundin und lächelte besorgt.
„Wenn du etwas brauchst, klingel durch, ja?“
„Danke!“
Als Tara gegangen war, wischte Kaylin sich die Tränen von den Wangen. Tara durfte nicht in ihren Sumpf hineingezogen werden, ebenso wenig Lenny und die anderen. Diese Suppe musste sie allein auslöffeln, aber wie? Kaylin starrte in ihre Kaffeetasse und seufzte. Jason Wongs Karte brannte ihr ein Loch in den Bademantel. Ihn anzurufen und um Hilfe zu bitten, würde bedeuten, ihm alles erzählen zu müssen. Alles! Sie wäre lieber vor Scham im Erdboden versunken. Und Nevin hatte Wichtigeres zu tun, als sich um ihren Müllberg zu kümmern. Außerdem wollte sie ihm gegenüber das Ausmaß ihres Handelns lieber viel später beichten, sehr viel später, am liebsten überhaupt nicht. Wen sollte sie um Hilfe bitten? Da gab es niemanden.
Kaylin berührte das Silberamulett auf ihrer Brust und schniefte. Sie hatte es satt, in Selbstmitleid zu baden, und sie hatte genug vom Heulen. Ihr Gesicht sah aufgequollen aus, und die roten Augen machten sie in Kombination mit der bleichen Gesichtsfarbe zu einem Zombie.
Sie schüttete den Tee aus, setzte neuen Kaffee auf und stieg unter die Dusche. Der Dreck, den sie versuchte, von sich zu waschen, lag wesentlich tiefer unter ihrer Haut. Egal wie sehr sie schrubbte, sie war schmutzig, dreckig und verdorben. Ciaráns Spuren wollten nicht abgehen, und das Wasser reichte nicht bis in ihre Seele. Sie zog sich an und setzte sich wieder an
Weitere Kostenlose Bücher