Undercover
und ein paar Fertiggerichten gefüllt hatte, nahm er ein Bier und fand neben einer schicken Kaffeemaschine drei Neoprenmanschetten mit dem Werbeaufdruck von Franks Reifenf irma: Frank’s Indestructible Tyres. Indestructible – unverwüstlich, dachte er, das passt wohl auch zu mir. Mit einem plötzlichen Anflug von Sympathie für Frank steckte er die Bierflasche in eine der Manschetten, humpelte mit den Krücken hinaus auf den Balkon und stützte die Arme auf das Metallgeländer das über der Betonbrüstung entlang lief – und es Selbstmörder schwerer machte, sich hinunterzustürzen. Direkt vor ihm, hinter der Esplanade, der verkehrsberuhigten Uferstraße und dem schmalen Parkplatz , dehnte sich endlos der blaue Ozean aus. Über den Himmel zogen sich dunstige Schleier, und der Wind war – typisch für den Nachmitt ag – stärker geworden. Touristen mit Badetüchern, Sonnenschirmen und Surfboards kehrten vom Sandstrand zurück, wo eine handvoll S urfer in der Abenddämmerung die letzten Ritte über die Wellen machten. Von unten aus den Restaurants und Cafés in den Arkaden drangen Gelächter und Geschirrklappern .
Auf einmal fühlte sich Shane unendlich erschöpft. Das Leben spielte sich dort ab. Er war überflüssig. Übrig geblieben. Vielleicht hätte ich gar nicht übrig bleiben sollen? Vielleicht war es ein Versehen, eine Verwechslung? Nicht Jack, sondern ich hätte sterben müssen, dachte er. Dem Schicksal war ein Fehler unterlaufen. Jacks Tod war nichts weiter als ein tragischer Irrtum... Hör auf, Shane!, ermahnte er sich.
Draußen auf dem Meer bemerkte er zwei Fischerboote, die ihre Netzte auswarfen. E r ging zurück in die Wohnung. Das Bad hatte man genauso schlicht und edel gestaltet wie die übrige Wohnung, und das Schlafzimmer bestand aus einem einladend geräumigem Bett und einem unaufdringlichen Wandschrank ohne Spiegel, was er beruhigt zur Kenntnis nahm. Er hasste nichts mehr als Spiegelschränke im Schlafzimmer. Die hatte er auch schon gehasst, als er noch jünger und besser in Form gewesen war. Da entdeckte er neben dem Schrank ein Fernrohr. Ich könnte es aufstellen und die Fischerboote beobachten, oder die Menschen am Strand und auf de r Straße. Tja, so bin ich, der ewige Bulle . Er ließ das Fernrohr erst mal dort wo es war, humpelte zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die bequeme Couch und wählte auf seinem Handy Kims Nummer. Es schaltete sich jedoch nur der Anrufbeantworter ein. Er hinterließ eine N achricht und kündigte für den nächsten Tag seinen Besuch an. Anschließend rief er Ann zu Hause an. Die Nummer wusste er auswendig. Wie oft hatte er Jack abends nach Dienstschluss oder nachts angerufen. Als niemand abhob, versuchte er es im Krankenhaus. Ann war gerade nach Hause gegangen, hieß es, aber dem kleinen Jack ginge es gut. Er legte auf. Wieder hatte Klein-Jack einen Tag dem Leben abgetrotzt, er war stolz auf ihn. Eine Weile blieb er noch auf der Couch sitzen und starrte durch die offene Balkontür in den dunkler werdenden Himmel. Morgen würde er seine privaten Ermittlungen aufnehmen. Zum Fernsehen fühlte er sich zu müde. Schon um halb acht legte er sich in das duftende, mit weißen, kühlen Laken bezogene Queensize-Bett. Sein Bein schmerzte. Er nahm eine Tablette und wartete darauf, einzuschlafen. Schon war er weggedämmert als ihn ein Geräusch aufrüttelte. Sein Handy! Ann! Das Baby! Hektisch tastete er im Dunkeln über den Nachttisch, fand es. „Ja?“
Doch die Leitung war stumm. Er sah auf das orangefarbene Display. Der Briefumschlag. Es hatte ihn niemand angerufen. Jemand hatte ihm eine SMS geschickt. Wo war nur der verdammte Lichtschalter? Endlich fand er ihn, knipste die Lampe an. Weißes Licht strahlte taghell. Und für einen Augenblick fragte er sich, ob er geträumt hatte. Doch das Display leuchtete. Er drückte die Taste.
HALT DICH RAUS. DAS IST EINE WARNUNG.
Die aufleuchtende Telefonnummer war keine Mobil-, sondern eine Festnetznummer. Er wählte die Nummer, wartete. Niemand nahm ab. Was hatte er auch erwartet? Die Leuchtziffern des Weckers zeigten 22:28.
Wieder wählte er. Beth war nicht da, hatte frei, sagte ihm ihre Kollegin, die seinen Namen jedoch auch kannte. In wenigen Sekunden hatte sie die Nummer eingegeben.
„Die Nummer ist die des öffentlichen Fernsprechers in Maroochydore, Parkplatz 4 des Einkaufscenters Sunshine Plaza“, sagte sie.
Er hätte sich denken können, dass niemand von zu Hause eine solche Meldung verschickte. Entweder
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