Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
sagen. Ich habe ihnen geraten, die Sache zu vergessen und heimzufliegen.«
»Weshalb geben sie sich als Mutter und Tochter aus?«
»Weil das ein toller Schwindel ist«, sagte ich. »Sehr zugkräftig. Wie Realityshows. Oder diese Zeitschriften, die in Supermärkten verkauft werden. Sie müssen unsere Kultur eingehend studiert haben.«
»Wozu so lange warten?«
»Der Aufbau einer voll entwickelten Fernsehindustrie dauert seine Zeit. Bestimmt haben sie Jahre für wichtige Dinge vergeudet.«
Sansom nickte vage, dann sagte er: »Es stimmt nicht, dass niemand wirklich Bescheid weiß. Sie scheinen jede Menge zu wissen.«
»Aber ich sage nichts.«
»Kann ich mich auf Sie verlassen?«
»Ich habe dreizehn Jahre gedient. Ich weiß alles Mögliche. Und ich rede nicht darüber.«
»Ich bin nicht glücklich darüber, wie leicht es für sie war, an Susan Mark heranzukommen. Und ich bin nicht glücklich darüber, dass wir nicht von Anfang an von ihr gewusst haben. Wir haben überhaupt erst am Morgen danach von ihr erfahren. Diese ganze Sache war wie ein Hinterhalt. Wir waren immer ahnungslos.«
Ich betrachtete die Fotos an der Wand hinter ihm. Begutachtete die winzigen Gestalten. Ihre Haltung, ihre Silhouetten. Ich fragte: »Wirklich?«
»Wir hätten gewarnt werden müssen.«
Ich sagte: »Reden Sie mit dem Pentagon. Und mit den Männern aus dem Watergate.«
Sansom erwiderte: »Das mache ich.« Dann verstummte er, als würde er die Umstände überdenken und sie neu, ruhiger und langsamer als in seiner sonstigen Kommandeursmanier beurteilen. Die Sache ist wieder unter Verschluss. Diese Idee schien er eine Zeit lang aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten. Endlich zuckte er mit den Schultern, machte eine leicht verlegene Miene und fragte: »Also, was denken Sie jetzt von mir?«
»Ist das wichtig?«
»Ich bin Politiker. Das ist eine reflexartige Frage.«
»Sie hätten die beiden mit Kopfschüssen erledigen sollen, finde ich.«
Er machte eine Pause, dann sagte er: »Wir hatten keine Waffen mit Schalldämpfern.«
»Doch, Sie hatten eine. Die hatten Sie gerade erbeutet.«
»Regeln für Kampfhandlungen.«
»Die hätten Sie ignorieren sollen. Die Rote Armee hatte keine Gerichtsmediziner im Einsatz. Niemand hätte gewusst, wer wen erschossen hat.«
»Was denken Sie also von mir?«
»Ich denke, Sie hätten die beiden nicht den Afghanen ausliefern sollen. Das wäre nicht nötig gewesen. Übrigens scheint das der springende Punkt der Enthüllungsstory im ukrainischen Fernsehen gewesen zu sein. Die Idee war, Sie mit der Alten zu konfrontieren, die Sie nach dem Warum gefragt hätte.«
Sansom zuckte erneut mit den Schultern. »Ich wollte, sie könnte mich das vor der Kamera fragen. Weil wir die beiden nämlich nicht ausgeliefert haben. Stattdessen haben wir sie laufen lassen. Das war ein kalkuliertes Risiko. Eine Art doppelter Bluff. Sie hatten ihr Gewehr verloren. Jeder würde glauben, die Mudschaheddin hätten es erbeutet. Was ein bedauerlicher Vorfall und eine erbärmliche Schande war. Ich wusste, dass sie große Angst vor ihren Offizieren und Politkommissaren hatten. Also würden sie mit allem Nachdruck beteuern, das VAL sei ihnen von Amerikanern, nicht von Afghanen abgenommen worden. Aber weil ihre Offiziere und Kommissare wussten, wie viel Angst sie vor ihnen hatten, würde die Wahrheit wie eine schlecht erfundene Ausrede klingen. Sie wäre sofort als Fantasieprodukt abgetan worden. Daher hatte ich keine Bedenken, sie laufen zu lassen. Die Wahrheit wäre ausgesprochen, aber nicht geglaubt worden.«
Ich fragte: »Was ist also passiert?«
Sansom antwortete: »Ich vermute, dass sie ängstlicher waren, als ich dachte. Zu ängstlich, um zurückzugehen. Ich glaube, dass sie umhergeirrt sind, bis die Einheimischen sie aufgegriffen haben. Grigorij Hoth war mit einer Politkommissarin verheiratet. Er hatte Angst vor ihr. Das ist passiert. Und das hat ihn das Leben gekostet.«
Ich schwieg.
Er sagte: »Allerdings erwarte ich nicht, dass mir irgendjemand das glaubt.«
Ich gab keine Antwort.
Er sagte: »Sie haben recht, was die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine betrifft. Aber es gibt auch welche zwischen den Russen und uns. Im Moment sogar ziemlich starke. Würde das damalige Teilunternehmen im Korengaltal bekannt, könnten sie eskalieren. Das wäre dann wieder wie im Kalten Krieg. Nur anders. Die Sowjets waren auf ihre Weise zumindest berechenbar. Das ist die jetzige Führung weniger.«
Danach saßen wir
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