Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
mir ein kleines Missgeschick. Der steife Rand des Büchleins streifte meinen Kaffeebecher und stieß ihn um. Die braune Brühe floss über den Tisch, tropfte von der Kante und ergoss sich in den Schoß des Chefagenten. Er tat, was jeder an seiner Stelle getan hätte. Er schob hastig seinen Stuhl zurück, stand halb auf und wedelte mit den Händen in der Luft, als könnte er die Flüssigkeit Molekül für Molekül abwehren.
»Sorry«, sagte ich.
Seine Hose war im Schritt nass. Damit hatte ich mich revanchiert. Für ihn gab es zwei Möglichkeiten: Er konnte den Rhythmus des Verhörs unterbrechen, indem er eine Pause machte, um sich umzuziehen, oder mit nasser Hose weitermachen. Ich sah ihm deutlich an, wie er beide Möglichkeiten gegeneinander abwog. Der Kerl war nicht ganz so unergründlich, wie er glaubte.
Er entschied sich dafür, mit nasser Hose weiterzumachen. Als Erstes ging er zu der Kommode und tupfte sich mit Servietten ab. Dann brachte er ein paar mit und wischte damit den Tisch trocken. Er gab sich große Mühe, sich keine Reaktion anmerken zu lassen, was allein schon eine Reaktion war.
Er fragte wieder: »Wann waren Sie zuletzt im Ausland?«
Ich sagte: »Das weiß ich nicht mehr.«
»Wo sind Sie geboren?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Jeder weiß, wo er geboren ist.«
»Es ist schon lange her.«
»Wir sitzen notfalls den ganzen Tag hier.«
»Ich bin in Westberlin geboren«, sagte ich.
»Und Ihre Mutter ist Französin?«
»Sie war Französin.«
»Was ist sie jetzt?«
»Tot.«
»Das tut mir leid.«
»War nicht Ihre Schuld.«
»Wissen Sie bestimmt, dass Sie amerikanischer Staatsbürger sind?«
»Was für eine Frage ist das?«
»Eine simple Frage.«
»Unser Außenministerium hat mir einen Reisepass ausgestellt.«
»War Ihr Antrag wahrheitsgemäß ausgefüllt?«
»Habe ich ihn unterschrieben?«
»Ich nehme an, dass Sie’s getan haben.«
»Dann waren die Angaben zutreffend, nehme ich an.«
»Wie das? Sind Sie eingebürgert worden? Sie sind als Sohn einer Ausländerin im Ausland geboren.«
»Ich bin auf einem Militärstützpunkt geboren. Der zählt als amerikanisches Staatsgebiet. Meine Eltern waren verheiratet. Mein Vater war amerikanischer Staatsbürger. Er diente im Marinekorps.«
»Können Sie das alles beweisen?«
»Muss ich das?«
»Es ist wichtig. Ob Sie amerikanischer Bürger sind oder nicht, könnte Einfluss darauf haben, wie es mit Ihnen weitergeht.«
»Nein, wie’s mit mir weitergeht, hängt davon ab, wie viel Geduld ich aufbringe.«
Der Kerl links vor mir stand auf. Er hatte mir zuvor die Mündung der Franchi unters Kinn gerammt. Er ging nach links, öffnete die Tür und verschwand in dem dritten Raum. Ich konnte flüchtig Schreibtische, Bildschirme und Aktenschränke erkennen. Keine weiteren Leute. Die Tür schloss sich leise hinter ihm, und in dem Raum, in dem wir saßen, herrschte wieder Stille.
Der Chefagent fragte: »War Ihre Mutter Algerierin?«
Ich antwortete: »Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass sie Französin war.«
»Manche Franzosen sind Algerier.«
»Nein, Franzosen sind Franzosen, und Algerier sind Algerier. So einfach ist das.«
»Okay, manche Franzosen waren ursprünglich Einwanderer aus Algerien. Oder aus Marokko, Tunesien oder sonst wo in Nordafrika.«
»Aber nicht meine Mutter.«
»War sie eine Muslima?«
»Wozu wollen Sie das wissen?«
»Ich ziehe Erkundigungen ein.«
Ich nickte. »Wahrscheinlich ist’s weniger riskant, nach meiner Mutter zu fragen als nach Ihrer.«
»Was soll das heißen?«
»Susan Marks Mutter ist als Teenager für Crack auf den Strich gegangen. Vielleicht hat Ihre mit ihr zusammengearbeitet. Vielleicht haben sie Freier zu zweit bedient.«
»Versuchen Sie, mich wütend zu machen?«
»Nein, aber ich habe Erfolg damit. Sie sind ganz rot im Gesicht und haben eine nasse Hose. Und Sie kommen absolut nicht weiter. Alles in allem glaube ich nicht, dass diese Vernehmung als beispielhaft ins Ausbildungshandbuch aufgenommen wird.«
»Dies ist kein Witz.«
»Aber es ist dabei, einer zu werden.«
Der Mann machte eine Pause, dann änderte er seine Taktik. Er benutzte seinen Zeigefinger, um die vor ihm liegenden Gegenstände auf eine Linie zu bringen. Als sie ausgerichtet waren, schob er den USB -Stick drei Zentimeter weit auf mich zu und sagte: »Den haben Sie vor uns versteckt, als wir Sie durchsucht haben. Den hat Susan Mark Ihnen in der U-Bahn gegeben.«
Ich fragte: »Habe ich das? Hat sie das?«
Der Kerl nickte.
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