Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
Nur um zu sehen, ob ich vor Anstrengung wieder bewusstlos werden würde, und um den Aufpasser, der mich auf dem Bildschirm beobachtete und durch die Mikrofone belauschte, auf mich aufmerksam zu machen.
Ich wurde nicht noch mal bewusstlos. Mein Kopf schmerzte etwas, als er wieder klar wurde, und die Anstrengung ließ mein Bein nicht weniger pochen. Aber abgesehen von diesen unbedeutenden Symptomen fühlte ich mich ziemlich gut. Die bewusst erregte Aufmerksamkeit zeigte sich erst gut eine Minute später in Gestalt eines mir unbekannten Kerls, der mit einer Injektionsspritze in der Hand hereinkam. Irgendeine Art Arzthelfer. In der linken Hand hielt er einen feuchten Wattebausch, mit dem er meine Armbeuge desinfizieren wollte. Er blieb vor der Zelle stehen und sah mich durch die Gitterstäbe an.
Ich fragte: »Ist das eine tödliche Dosis?«
Der Kerl sagte: »Nein.«
»Sind Sie berechtigt, eine tödliche Dosis zu spritzen?«
»Nein.«
»Dann lassen Sie lieber die Finger von mir. Sie können mir so viele Spritzen geben, wie Sie wollen – irgendwann wache ich doch wieder auf. Und irgendwann bekomme ich Sie zu fassen. Dann zwinge ich Sie dazu, dieses Ding zu essen, oder stecke es Ihnen hinten rein und injiziere Ihnen das Zeug von innen.«
»Das ist ein Schmerzmittel«, erklärte der Kerl. »Ein Analgetikum. Für Ihr Bein.«
»Meinem Bein fehlt nichts.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
»Lassen Sie mich bloß in Ruhe.«
Das tat er dann auch. Er verschwand durch eine massive Holztür, die im selben Weiß wie die Wände gestrichen war. Die Tür wirkte alt. Sie hatte etwas vage Gotisches an sich. Ähnliche Türen kannte ich aus öffentlichen Gebäuden. Aus Schulen und Polizeirevieren.
Ich ließ den Kopf wieder auf die Matratze sinken. Kopfkissen hatte ich keines. Ich starrte durch die Gitterstäbe zur Decke und machte mich auf längeres Warten gefasst. Aber schon nach weniger als einer Minute tauchten zwei der Männer, die ich kannte, auf. Zwei der Federal Agents. Die beiden Untergebenen, nicht der Chefagent. Einer von ihnen hatte eine Franchi 12 dabei. Sie sah geladen, gespannt und schussbereit aus. Der andere Typ hielt irgendein Werkzeug in der Hand und hatte drei Stücke einer dünnen Kette über dem Arm hängen. Der Kerl mit der Schrotflinte trat dicht an die Zelle, rammte mir die Mündung seiner Waffe unters Kinn und beließ sie dort. Der Kerl mit den Kettenabschnitten sperrte die Zellentür auf. Nicht mit einem Schlüssel, sondern indem er ein Kombinationsschloss mehrmals nach links und rechts drehte.
Dann kam der Agent herein und blieb neben meinem Feldbett stehen. Das Werkzeug in seiner Hand war ein Seitenschneider. Er bemerkte, wie ich das Ding betrachtete, und grinste. Ich richtete mich etwas auf. Die Mündung der Schrotflinte wurde mir noch fester unters Kinn gedrückt. Eine kluge Vorsichtsmaßnahme. Selbst mit gefesselten Händen hätte ich den Oberkörper nach vorn werfen und einen ziemlich guten Kopfstoß anbringen können. Vielleicht nicht meinen besten, aber doch so kräftig, dass der Kerl länger bewusstlos gewesen wäre als ich zuvor. Auch länger als der Gorilla. Kopfschmerzen hatte ich bereits. Da kam es auf einen wuchtigen Schlag mehr oder weniger nicht an.
Aber die Mündung der Franchi blieb unter meinem Kinn, sodass ich zur Rolle eines bloßen Zuschauers verdammt war. Der Kerl mit den Ketten entwirrte sie und legte sie versuchsweise nebeneinander aus. Eine würde meine Handgelenke an die Taille und eine meine Fußknöchel fesseln und die dritte die beiden ersten verbinden. Die Standardfesselung aus dem Strafvollzug. Ich würde mit kleinen Schritten gehen und die Hände bis zur Taille heben können, aber das war alles. Der Kerl brachte die Ketten an, sicherte sie mit kräftigen Vorhängeschlössern und prüfte jede einzeln, bevor er den Seitenschneider verwendete, um die Kabelbinder zu durchtrennen. Dann verließ er rückwärtsgehend meine Zelle, und sein Partner zog die Franchi weg.
Die beiden erwarteten wohl, dass ich vom Feldbett rutschen und aufstehen würde. Also blieb ich liegen. Man muss die Siege des Gegners rationieren. Sie ihm sparsam und widerstrebend zuteilen. Man muss es so weit bringen, dass der Gegner einem für jedes kleine Zugeständnis unterschwellig dankbar ist. So kommt man vielleicht mit zehn kleinen Verlusten pro Tag statt mit zehn großen davon.
Aber die beiden Feds hatten dieselbe Ausbildung wie ich genossen. Das war klar. Sie standen nicht hilflos frustriert herum,
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