Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
nicht genau. Die Uhr in meinem Kopf tickte noch immer nicht richtig. Aber irgendwann kam ich doch wieder an die Oberfläche. Ich lag auf einem Feldbett. Meine Knöchel und Handgelenke waren mit Kabelbindern an das Bettgestell gefesselt. Ich war weiterhin vollständig bekleidet. Bis auf meine Schuhe. Die waren weg. In meinem benommenen Zustand glaubte ich die Stimme meines toten Bruders zu hören. Bevor du jemanden kritisierst, solltest du eine Meile in seinen Schuhen gehen. Kritisierst du ihn dann, hast du eine Meile Vorsprung, und er muss dir auf Strumpfsocken nachlaufen. Ich bewegte die Zehen, dann die Hüften. Ich spürte, dass meine Taschen leer waren. Wahrscheinlich hatten sie ein Verzeichnis angelegt und alles in einen Plastikbeutel gesteckt.
Ich brachte den Kopf an meine linke Schulter und rieb mit dem Kinn übers Hemd. Bartstoppeln, etwas länger, als ich in Erinnerung hatte. Ungefähr acht Stunden alt. Der Gorilla im National Geographic Channel hatte zehn Stunden geschlafen. Ein Punkt für Reacher, aber vermutlich hatten sie bei mir eine schwächere Dosis verwendet. Wenigstens hoffte ich das. Der riesige Affe war wie vom Blitz gefällt zusammengebrochen.
Ich hob erneut den Kopf und schaute mich um. Ich lag in einer Zelle, die sich in einem Raum befand. Kein Fenster. Helles elektrisches Licht. Eine neue Konstruktion in einem Altbau. Drei aus glatten Stahlstäben zusammengeschweißte einfache Käfige, die nebeneinander in einem großen alten Raum mit gemauerten Wänden standen. Die Zellen waren ungefähr zweieinhalb Meter breit, tief und hoch. Auch ihr Dach bestand aus Gitterstäben. Die rutschfesten Stahlplatten des Fußbodens waren an den Rändern aufgebogen, sodass eine nur wenige Zentimeter tiefe flache Wanne entstand. Um verschüttete Flüssigkeiten aufzufangen, vermutete ich. In Zellen können alle möglichen Flüssigkeiten verschüttet werden. Die Wannen aller Zellen waren in Bodennähe an umlaufenden waagrechten Querstäben angeschweißt. Die Zellen selbst hatte man nicht am Fußboden festgeschraubt. Sie standen einfach nur da: drei in einem großen alten Raum geparkte Gebilde aus Stahlstäben.
Die Decke des großen alten Raums war ein hohes Tonnengewölbe. Das weiß gestrichene Ziegelmauerwerk sah jedoch alt und brüchig aus. Es gibt Leute, die nach einem Blick auf die Abmessungen von Ziegeln und ihre Verlegung genau sagen können, wo ein Gebäude steht und wann es erbaut worden ist. Ich kann das nicht. Trotzdem hatte ich den Eindruck, mich an der Ostküste zu befinden. Neunzehntes Jahrhundert, mit der Hand gemauert. Von Einwanderern, die für wenig Lohn im Akkord geschuftet hatten. Ich war vermutlich noch in New York. Und wahrscheinlich unter der Erde. Dies schien ein Kellerraum zu sein. Nicht feucht, nicht kühl, aber durch seine Lage unter der Erde in Bezug auf Temperatur und Feuchtigkeit irgendwie stabilisiert.
Ich lag in der mittleren der drei Zellen, ich hatte das Feldbett, an das ich gefesselt war, und ein WC . Das war alles. Sonst gab es nichts. Das WC war auf drei Seiten von einem etwa einen Meter hohen Sichtschutz umgeben. Der Deckel des Wassertanks war als Waschbecken gestaltet. Ich konnte einen Wasserhahn erkennen. Nur einen. Nur kaltes Wasser. Die beiden anderen Zellen sahen ganz gleich eingerichtet aus. Feldbett, Toilette, sonst nichts. Von den drei Zellen führten mit neuem Beton ausgefüllte exakt parallele Aufgrabungen im Betonboden des großen alten Raums weg. Für die Abwasserrohre der Toiletten, vermutete ich, und die Wasserleitungen für WC -Spülung und Waschbecken.
Die beiden anderen Zellen standen leer. Ich war ganz allein.
In der entferntesten Ecke des äußeren Raums war dicht unter der Decke eine Überwachungskamera montiert. Ein wachsames Glasauge. Vermutlich ein Weitwinkelobjektiv, das den gesamten Raum erfasste. Damit alle drei Zellen ständig unter Beobachtung waren. Ich stellte mir vor, dass es auch Mikrofone gab. Bestimmt mehr als eines, einige davon wahrscheinlich ganz in der Nähe. Elektronisches Abhören ist nicht einfach. Deutlichkeit ist wichtig. Raumechos können einem alles verderben.
Mein linkes Bein schmerzte leicht. Eine Stichwunde und ein Bluterguss, wo der kleine Pfeil mich getroffen hatte. Das Blut auf meiner Hose war längst eingetrocknet, der Fleck nicht sehr groß. Ich testete die Kabelbinder, mit denen man mich an Händen und Füßen gefesselt hatte. Unzerreißbar. Ich ruckte und zerrte eine halbe Minute lang an ihnen. Nicht um mich zu befreien.
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