Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
und wurde mit einem weiteren abspringenden Schweißpunkt belohnt. Drei weg, aber noch viele weitere da. Aber jetzt konnte ich die vom flachen Ende der Brechstange aufgewölbte untere Querstrebe bequem fassen. Ich legte die Stange weg, ging mit dem Gesicht zum Käfig in die Hocke und schob beide Hände mit den Handflächen nach oben in diese Grifföffnungen. Packte fest zu, atmete tief durch und konzentrierte mich auf mein Vorhaben. Als ich aufgehört hatte, die Olympischen Spiele im Fernsehen zu verfolgen, hatten die Gewichtheber im Stoßen über zweihundertfünfundzwanzig Kilogramm zur Hochstrecke gebracht. Mir war klar, dass ich viel weniger schaffen würde. Aber ich rechnete mir aus, dass schon weit weniger genügten.
Im übernächsten Raum hörte das zweite Telefon zu klingeln auf.
Und ein drittes begann.
Ich hievte den Käfig mit einem gewaltigen Ruck hoch.
Ich schaffte es, die Zelle auf meiner Seite etwa dreißig Zentimeter anzuheben. Die stählerne Bodenwanne verformte sich kreischend. Aber die Schweißpunkte hielten. Das dritte Telefon hörte zu klingeln auf. Ich schaute zu Lee auf und formte mit den Lippen: »Springen!« Sie verstand sofort. Sie war eine clevere Frau. Sie sprang von dem Toilettensitz barfuß auf eine Stelle, wo zwei Schweißpunkte unter Spannung standen. In den Händen spürte ich nichts. Keinen Aufprall. Keinen Schock. Weil die Schweißstellen sofort brachen, sodass die Bodenwanne V-förmig aufklaffte. Wie ein sich öffnender Mund. Dieses Loch hatte ungefähr dreißig Zentimeter Durchmesser. Gut, aber nicht gut genug. Ein Kind hätte hindurchschlüpfen können, aber für Lee reichte diese Öffnung nicht aus.
Aber immerhin hatten wir das Prinzip bewiesen. Ein Punkt für die Stadtväter des neunzehnten Jahrhunderts.
Im übernächsten Raum begannen alle drei Telefone gleichzeitig zu klingeln. Die Klingeltöne überlagerten sich, rasch und dringend.
Ich kam wieder zu Atem, und jetzt ging es nur noch darum, das Dreifachverfahren an jeweils zwei Schweißpunkten zu wiederholen. Die Brechstange, das Hochhieven, der Sprung. Obwohl Lee weiß Gott nicht groß war, mussten wir die Schweißpunkte auf fast zwei Metern Länge wegsprengen, bevor der Boden sich so weit senkte, dass sie herauskriechen konnte. Dafür brauchten wir ziemlich lange. Fast acht Minuten. Aber zuletzt schafften wir’s doch. Lee kam mit den Füßen voraus auf dem Rücken liegend heraus – wie eine Limbotänzerin. Ihre Bluse verfing sich, rutschte nach oben und ließ einen glatten sonnengebräunten Bauch sehen. Dann befreite sie sich, kroch ganz heraus, sprang auf und umarmte mich fest. Und länger, als nötig gewesen wäre. Als sie mich wieder losließ, ruhte ich mich eine Minute lang aus und wischte mir die Hände an der Hose ab.
Anschließend wiederholten wir das Verfahren, diesmal für Jacob Mark.
Im übernächsten Raum klingelten Telefone und verstummten, klingelten und verstummten.
47
Jetzt hatten wir es eilig. Theresa Lee nahm sich die Schuhe des Chefagenten. Sie waren ihr ein wenig zu groß, aber es ging. Jacob Mark zog die Klamotten des Arzthelfers an. Er rechnete sich aus, dass ein auswärtiger Cop in unvollständiger Uniform auf der Straße auffallen würde, was vermutlich stimmte. Der Effekt war die Verzögerung wert. In Chinos, T-Shirt und Baseballstiefeln sah er viel besser aus. Die Kleidungsstücke saßen fast perfekt. Am Hosenboden zeichnete sich ein geldstückgroßer Blutfleck ab, aber das war der einzige Nachteil. Wir ließen den Arzthelfer in seiner Unterwäsche schlafend zurück.
Dann machten wir, dass wir wegkamen. Die Treppe hinauf, über den mit Müll bedeckten Beton, durch die Gasse, auf den Gehsteig der 3rd Street hinaus. Dort herrschte Gedränge. Es war noch immer heiß. Wir wandten uns nach links. Ohne bestimmten Grund. Rein zufällig, was sich als glücklicher Zufall erwies. Wir waren erst ein paar Schritte weit gekommen, als ich hinter uns lautes Hupen und quietschende Reifen hörte. Als ich mich umsah, bremste eine schwarze Limousine scharf und hielt an der Einmündung der Gasse neben der Feuerwache. Ein Crown Vic, neu und glänzend. Zwei Kerle sprangen heraus. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Und ich wusste, dass Theresa Lee sie kannte. Blaue Anzüge, blaue Krawatten. FBI -Agenten. Sie hatten mit Lee auf dem Polizeirevier und mit mir auf der 35th Street gesprochen, hatten mir Fragen nach kanadischen Mobilfunknummern gestellt. Jetzt rannten sie zehn Meter hinter uns zu der Gasse und
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