Underground: Ein Jack-Reacher-Roman (German Edition)
und stieß den Kerl mit der rechten vor mir her zur Treppe. Auf dem Weg in den Keller war er spürbar eingeschüchtert. Auch in dem Büroraum machte er keine Schwierigkeiten. Als wir den zweiten Raum betraten, sah er die drei Kerle auf dem Boden liegen und erriet, was ihm bevorstand. Ein Adrenalinschub setzte ein. Kampf oder Flucht. Dann betrachtete er wieder mich, einen hünenhaften entschlossenen Mann in lächerlichen Schuhen, der eine große Brechstange in der Hand hielt.
Er ließ den Kopf hängen.
Ich fragte ihn: »Kennen Sie die Kombinationen für die Zellentüren?«
Er sagte: »Nein.«
»Wie spritzen Sie dann Schmerzmittel?«
»Durch die Gitterstäbe.«
»Was passiert, wenn jemand einen Anfall hat und Sie nicht in die Zelle können?«
»Dann muss ich telefonieren.«
»Wo haben Sie Ihr Zeug?«
»In meinem Schrank.«
»Zeigen Sie’s mir«, sagte ich. »Machen Sie ihn auf.«
Wir gingen in den Vorraum hinaus, und er führte mich zu einem Schrank und drehte das Kombinationsschloss. Die Tür ließ sich aufziehen. Ich fragte ihn: »Können Sie die anderen Schränke auch öffnen?«
Er sagte: »Nein, nur diesen.«
Sein Schrank war durch Einlegeböden unterteilt, auf denen ganze Stapel von Sanitätsartikeln lagen. Injektionsspritzen in Klarsichtpackungen, ein Stethoskop, kleine Phiolen mit farblosen Flüssigkeiten, Tabletten, abgepackte Tupfer, Mull- und Elastikbinden, Heftpflaster.
Und eine Schachtel mit winzigen Stickstoffzylindern.
Und eine weitere Schachtel mit einzeln verpackten Betäubungspfeilen.
Was aus bürokratischer Sicht irgendwie sinnvoll war. Ich stellte mir die Besprechung bei der Abfassung des Betriebshandbuchs vor. Im Pentagon. Stabsoffiziere als Verantwortliche. Auch niedrigere Dienstgrade mit am Tisch. Eine Tagesordnung. Ein Jurist aus dem Verteidigungsministerium, der darauf bestand, die Munition des Narkosegewehrs müsse von einer qualifizierten Fachkraft verwahrt werden. Weil das Betäubungsmittel eine Droge sei. Dann jemand aus dem aktiven Dienst, der feststellte, komprimierter Stickstoff sei nichts Medizinisches. Und ein dritter Typ, der darauf hinwies, es sei unzweckmäßig, die Treibladung vom Geschoss zu trennen. Ständig im Kreis herum. Ich stellte mir vor, wie entnervte Agenten schließlich aufgaben, nachgaben. Okay, was auch immer, machen wir also weiter.
Ich fragte: »Was genau ist in den Pfeilen?«
Der Mann antwortete: »Ein Mittel zur örtlichen Wundbetäubung und jede Menge Barbiturat.«
»Wie viel Barbiturat?«
»Genug.«
»Für einen Gorilla?«
Der Kerl schüttelte den Kopf. »Verringerte Dosis. Für einen normalen Menschen berechnet.«
»Wer hat sie berechnet?«
»Der Hersteller.«
»Er hat den Verwendungszweck gekannt?«
»Natürlich.«
»Mit Spezifikationen und Bestellvordrucken und allem?«
»Ja.«
»Und Tests?«
»Drunten in Guantánamo.«
»Ist dies ein großartiges Land, oder was?«
Der Kerl schwieg.
Ich fragte ihn: »Hat das Zeug Nebenwirkungen?«
»Keine.«
»Bestimmt nicht? Sie wissen, warum ich das frage, nicht wahr?«
Der Mann nickte. Er wusste, warum ich das fragte. Ich hatte keine Computerkabel mehr, deshalb musste ich ihn nebenbei im Auge behalten, während ich das Narkosegewehr fand und lud. Der Ladevorgang glich einem Puzzle. Ich kannte diese Technologie nicht. Ich musste mich allein auf Logik und gesunden Menschenverstand verlassen. Der Abzug setzte den Stickstoff frei, das war klar. Das Gas trieb den Pfeil aus dem Lauf, auch das war klar. Und Gewehre sind im Prinzip einfache Maschinen. Man weiß, wo bei ihnen vorn und hinten ist. Ursache und Wirkung laufen in rationaler Folge ab. Ich hatte das Ding binnen vierzig Sekunden nachgeladen.
Ich sagte: »Wollen Sie sich auf den Boden legen?«
Der Kerl gab keine Antwort.
Ich sagte: »Sie wissen schon, damit Sie sich nicht den Kopf anschlagen.«
Der Kerl streckte sich auf dem Boden aus.
Ich fragte: »Irgendeine bevorzugte Stelle? Arm? Bein?«
Er sagte: »In großen Muskeln ist die Wirkung am besten.«
»Dann wälzen Sie sich auf den Bauch.«
Er wälzte sich auf den Bauch, und ich schoss ihm in den Hintern.
Ich lud noch zweimal nach und betäubte die beiden Agenten, die sonst hätten aufwachen können. Nun hatte ich mindestens acht Stunden lang freie Hand, falls nicht unerwartet weitere Leute aufkreuzten. Oder falls die drei Agenten nicht stündlich telefonisch Bericht erstatten sollten. Oder nicht schon ein Wagen unterwegs war, der uns nach Washington bringen sollte. Solche
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