Underground
und starrte mich weiterhin misstrauisch an. Ich rührte mich nicht von der Stelle und hielt seinem Blick mit so viel Gelassenheit und Ruhe stand, wie es mir möglich war. Was seinen Hund betraf, so hielt ich es für das Beste, ihn nicht anzusehen, um ihn nicht noch mehr zu reizen.
Endlich gab Tanker dem Tier ein Zeichen. »Ruhig, Bella.« Der Hund ließ sich daraufhin wieder zu seinem Abendessen nieder, behielt sein Herrchen aber weiterhin im Auge.
Dieser wandte seine Aufmerksamkeit nun Quinton zu und vermied es, mich noch einmal anzusehen. »Tandy ist verschwunden, Mann.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, erwiderte Quinton. »Ich will wissen, wen du in letzter Zeit sonst noch vermisst hast. Gibt es noch andere, die du schon länger nicht mehr gesehen hast?«
Tanker trat ein paar Schritte zurück, sodass er sich gegen die abgebröckelte Hauswand lehnen konnte. Er atmete wieder ruhiger, und die alptraumhafte Farbe, die ihn für eine Weile im Grau umgeben hatte, wurde schwächer. Trotzdem schien er noch leicht angespannt zu sein. »John Bear. Ich habe Bear schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
»Ist er auch unten im Ziegelbruch gewesen?«
»Mann, du weißt doch, dass Bear nur im Freien schläft. Er ist der Bär, und er schläft auch mit den Bären. Verrückter Hund, der Kerl.«
»Aber in letzter Zeit hat er doch auch nicht mehr im Park übernachtet, oder? In dieser Kälte wird er wohl kaum draußen schlafen.«
»Ich habe ihn jedenfalls nirgendwo gesehen. Aber seine Decke schon. Jay hat sie.«
»Dann sind also Bear und Tandy verschwunden. Sonst noch jemand?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Tanker genervt. »Ich weiß nicht. Hör endlich mit deinen verdammten Fragen auf. Und deine Hilfe will ich auch nicht!«, fügte er hinzu. Er packte Bella an der Leine und riss daran, bevor er mit ihr in die Gasse verschwand. »Ihr könnt von mir aus alle zur Hölle fahren!«, rief er uns über die Schulter hinweg zu.
Quinton nahm mich an der Hand und zog mich auf die Straße hinaus. »Wir sollten uns besser vom Acker machen.«
»Was war das denn?«, fragte ich, während ich hinter ihm herlief.
Er schüttelte den Kopf. »Tanker hat echte Probleme.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass es einige Leute hier gibt, die Probleme haben.«
»Ja, klar. Aber Tanker hat noch ein paar mehr. Er war früher Trucker und hat Benzin durch die Gegend gefahren. Deshalb auch der Name Tanker. Jedenfalls bis er in einen Unfall verwickelt war, in dem zwei Leute auf recht furchtbare Weise ums Leben kamen und er diese schrecklichen Narben abbekam. Seine damalige Firma hat ihm die Schuld gegeben. Sie haben ihn nicht nur gefeuert, sondern sich auch geweigert, die Kosten für die medizinische Behandlung zu übernehmen. Später stellte sich heraus, dass die Firma in Wahrheit billige runderneuerte Reifen verwendet hat, wodurch es zu diesem Unfall kam. Aber das interessierte damals schon niemanden mehr, und Tanker war bereits obdachlos geworden. Ein besonders pikantes Detail ist die Tatsache, dass Tanker deshalb so schrecklich
entstellt wurde, weil er versuchte, die Leute aus ihrem Wagen zu holen. Einer von ihnen zerfiel in seine Einzelteile, als er ihn herauszerrte. Es war so viel Rauch in der Luft, dass Tanker zuerst gar nicht begriff, dass er einen halben Menschen aus dem Wrack zerrte. Er verlor beinahe den Verstand, als ihm klar wurde, was er da gerettet hat.«
Die Geschichte schockierte mich. Ich betrachtete Quinton aufmerksam. Auch er wirkte noch immer erschüttert, obwohl er schon lange von Tankers Schicksal wusste. Er sah mich nicht einmal an. Da mir keine geeignete Erwiderung einfiel, entschloss ich mich, nichts zu sagen. Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinander her.
Wir gingen den Hügel hoch, der zur Union Gospel Mission in China Town führte. Dort hofften wir einige der Untergrundbewohner anzutreffen, die noch beim Essen saßen.
Die UGM nahm nicht nur Männer, sondern auch Familien und Frauen auf. Sie waren auch hilfsbereiter, als es darum ging, uns in ihre Räumlichkeiten und mit den Leuten reden zu lassen. Ich war mir allerdings ziemlich sicher, dass ich ohne Quinton niemals hineingekommen wäre.
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die in der Küche und im Speisesaal beschäftigt waren, erklärten uns, dass wir mit den Obdachlosen im Aufenthaltsraum sprechen könnten, aber nicht mit denen, die sich bereits im Schlafsaal befanden. Das war mir recht. Ich nahm an, dass die meisten um diese Zeit sowieso noch wach sein
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