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Underground

Titel: Underground Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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würden, doch zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass schon ziemlich viele im Bett verschwunden waren.
    »Obdachlosigkeit ist anstrengend«, meinte einer der Freiwilligen. »Die Leute sind meist den ganzen Tag auf den Beinen. Kein Zuhause zu haben, bedeutet nicht, dass
sie nicht arbeiten oder zumindest versuchen, Arbeit zu finden. Falls es nichts anderes gibt, betteln sie, fegen die Bürgersteige, putzen Fenster, verrichten irgendwelche körperlichen Arbeiten oder drehen ihre Runden, immer auf der Suche nach Arbeit, Essen oder Dingen, die sich irgendwie in Bares verwandeln lassen. Viele fallen ins Bett, wenn es noch kaum dunkel ist, und zwar nicht nur, weil man in den guten Heimen nur sehr früh noch einen Schlafplatz bekommt. Manchmal ist frühes Schlafen die einzige Möglichkeit, überhaupt Schlaf zu finden.«
    Das überraschte mich. »Hier scheint es aber im Vergleich zur Straße ruhig und warm zu sein. Warum können sie hier nicht durchschlafen?«
    »Weil sie Angst haben, ausgeraubt oder angegriffen zu werden. Selbst hier drin, wo wir versuchen, für eine gewisse Sicherheit zu sorgen.«
    Ich betrachtete den Aufenthaltsraum, der noch voller Leute war. In einer solchen Umgebung, wo niemand abgewiesen wurde, bis das Heim voll war, konnten leicht Verbrechen passieren. Auch wenn für die Polizei ein Diebstahl in diesem Milieu kaum der Rede wert war, bedeutete es den Menschen, die so wenig besaßen, viel, das Wenige zusammenzuhalten. Ein körperlicher Angriff war natürlich noch schlimmer.
    »Als Obdachloser muss man im Grunde in ständiger Anspannung leben«, meinte ich.
    »Tut man auch. Deshalb trinken so viele oder nehmen Drogen, auch wenn wir das hier drin nicht erlauben. Aber auf diese Weise stumpfen sie sich etwas ab. Es ist wirklich nicht schwer, in einer solchen Lage in die völlige Verzweiflung abzurutschen.«
    Als ich ins Grau blickte, konnte ich deutlich die kranken,
traurigen Farben erkennen, die um viele der Gestalten waberten. Hier und da sah ich helle Funken und Säulen aus leuchtenden oder auch grellen Schattierungen, die sich aus dem düsteren Nebel der generellen Erschöpfung abhoben. Der Geruch im Raum kam mir ebenfalls wie ein Ausdruck der Verzweiflung und Apathie vor.
    »Wie halten Sie das durch? Bedrückt Sie das denn nicht schrecklich?«
    Der ehrenamtliche Mitarbeiter schenkte mir ein müdes Lächeln. »Gott gibt mir Kraft. Wenn ich einigen von ihnen helfen kann, selbst wenn es nur für eine Nacht oder für eine Mahlzeit ist, dann hoffe ich, dass sie auf diese Weise ein wenig Stärke und Kraft finden, um sich irgendwie aus ihrer Situation zu befreien.«
    Ein Heulen unterbrach uns.
    »Oh, Mann … Ich sollte besser nachsehen, was da los ist. Falls Sie noch Fragen haben sollten und wissen möchten, wer hier was macht, können Sie gerne mit Sandy da drüben sprechen.« Er zeigte auf eine Frau, die in der Nähe der Wand saß und von einer leuchtend gelben Krone aus Energie umgeben war. »Sie ist ein bisschen … Nun, sie ist sehr fantasievoll. Aber sie beobachtet auch sehr genau und hat die Dinge im Blick.« Mit diesen Worten ließ mich der Mann allein.
    Ich sah mich im Raum um und entdeckte Quinton, der langsam durch die Menge ging. Er schien sich immer wieder mit einigen der Obdachlosen zu unterhalten, weshalb ich es für das Klügste hielt, wirklich erst einmal mit Sandy zu sprechen. Ich ging zu ihr und setzte mich vor sie auf den Boden. Mein Knie war allerdings von diesem plötzlichen Anwinkeln nicht sehr angetan.
    Sandy war vermutlich Mitte sechzig, auch wenn es mir
schwerfiel, das Alter der Obdachlosen einzuschätzen. Die meisten wirkten wesentlich älter als sie wohl in Wahrheit waren. Sandys schwarzgraues Haar war kurz geschnitten, und sie war auf merkwürdige Weise sowohl dünn als auch rundlich. Ich hatte den Eindruck, als ob sie früher einmal ein recht bequemes Leben geführt hätte, bevor sich ihre Lebensumstände so dramatisch verändert hatten. Sie trug eine große Brille, die sie immer wieder hochschob. Körperlich war sie kleiner als ich, aber nicht winzig. Sie trug einen weißen Regenmantel und darunter eine ganze Batterie von blauen und violetten Pullis und Röcken sowie abgewetzte Arbeitsstiefel. Aus der Nähe konnte ich ihren Geruch deutlich wahrnehmen. Er schien eine Mischung aus Erde und Talkpuder zu sein.
    Sie sah mich an. »Hallo«, begrüßte sie mich. »Brauchst du Hilfe?«
    »Bist du Sandy?«, frage ich.
    Sie nickte. »Ja, bin ich. Was willst du?«
    »Der Mann

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