Underground
ging.
Es half auch nicht, dass Pioneer Square zu jenen Orten in Seattle gehört, wo sich die meisten Geister tummeln. Der vereiste Boden verbarg sich für mich hinter einem silbergrauen Nebel aus Gespenstern und Erinnerungsfetzen.
Ich ging so langsam und vorsichtig wie möglich und schaffte es so, die Tür zu meinem Bürogebäude zu erreichen, ohne ein einziges Mal hinzufallen.
Sollte ich zur Abwechslung einmal den Lift nehmen, um mein Knie zu schonen? Doch seitdem ich durch einen dieser altmodischen Lifte für einen Moment mein Leben hatte lassen müssen, betrat ich sie höchst ungern. Mir jagten bereits die Messinggitter einen kalten Schauer über den Rücken.
Ich entschied mich also für die Treppe. Keuchend traf ich oben ein. Ich sperrte mein Büro auf und setzte mich als Erstes auf meinen Schreibtischstuhl, um wieder zu Atem zu kommen. Manchmal machte mir das Treppensteigen überhaupt nichts aus, doch an kalten Tagen wie diesem schmerzte mein verletztes Knie besonders stark. Selbst meine Schulter meldete sich, als ich mich zurücklehnen wollte. Meine momentane Situation war wirklich unangenehm, und ich war froh, für einen Augenblick sowohl die körperlichen als auch die emotionalen Belastungen hinter mir lassen und mich ganz und gar auf meine Arbeit konzentrieren zu können. Wild entschlossen stürzte ich mich also darauf.
Ich arbeitete so konzentriert, dass ich die Zeit vergaß. Als jemand an meine Bürotür klopfte, nahm ich an, dass es bereits zwei sein müsste und Will mich zum Mittagessen abholen wollte. Ohne aufzublicken, rief ich: »Komm rein!« Mein Handy, das ich in meine Hosentasche gesteckt hatte, begann zu surren, als die Tür geöffnet wurde – meine private Alarmanlage. Ich schaltete das Handy aus und sah lächelnd auf. Zwar war ich nicht ganz so begeistert wie ich vorgab, aber im Moment schien mir diese Art der Begrüßung in meiner Beziehung zu Will das Beste zu sein.
Als ich allerdings sah, wer vor mir stand, runzelte ich verblüfft die Stirn.
Es war Quinton. Er stellte seinen Rucksack auf den Boden und schenkte mir ein schiefes Grinsen. Ich hatte Quinton ebenso wie Will kennengelernt, nachdem sich meine Welt verändert hatte. Er war es gewesen, der mir die Alarmanlage im Büro installiert hatte, ohne Fragen zu stellen. Seitdem half er mir bei allem, was mit Elektrik zu tun hatte, vor allem, wenn es um ungewöhnliche oder geheime Aufgaben ging. Er war selbst ein wenig rätselhaft und merkwürdig und ein echter Geek, was zu meiner schweigsamen Art recht gut passte. Wir waren in den letzten Monaten gute Freunde geworden, und im Gegensatz zu Will musste ich vor Quinton nichts verbergen. Jetzt stand er in meinem Büro und sah so aus, als ob er sich nicht sicher wäre, dass er willkommen war.
»Oh … Hi, Quinton«, begrüßte ich ihn und musterte ihn neugierig.
»Hi«, erwiderte er. Unsicher trat er von einem Fuß auf den anderen. Seine übliche Ruhe war einer seltsamen Nervosität gewichen, die sich auch in dem wirbelnden Nebel aus grünem Rauch im Grau zeigte. Es sah fast so aus, als ob sein langer Mantel Schimmel angesetzt hätte. »Äh … Harper. Ich … Da gibt es … Äh … Könntest du dir kurz etwas ansehen?«
»Jetzt sofort?«, fragte ich und warf einen Blick auf meine Uhr. Es war genau dreizehn Uhr zwölf. Mir blieb also weniger als einer Stunde Zeit bis zu dem vereinbarten Mittagessen mit Will.
»Na ja … Jetzt wäre gut. Es ist ziemlich wichtig.« Ohne weiter nachzudenken, stand ich auf und griff nach meiner Jacke. Quinton hatte mir schon so manchen Gefallen getan,
und außerdem mochte ich ihn. Es war offensichtlich, dass er nervös war, was bei ihm ausgesprochen selten geschah. Bisher hatte ich ihn erst einmal so erlebt. Wenn man bedachte, dass ihn selbst Vampire nicht aus der Fassung brachten, musste es sich um etwas wirklich Außergewöhnliches handeln.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Ich möchte, dass du es dir ansiehst, und zwar bevor jemand anderer hinzukommt. Ich will dir nichts Falsches sagen, denn ich weiß selbst nicht so recht, was passiert ist.«
»Verstehe. Wohin geht es?«
»In den alten Zugtunnel.«
»Oh, super«, sagte ich und griff nach meiner Tasche. »Gefrorener Kies und Müll. Meine Lieblingsmischung.« Trotz meiner ironischen Art verspürte ich doch eine gewisse Erregung darüber, den öden Papierkram, der sich auf meinem Schreibtisch stapelte, für eine Weile hinter mir zu lassen.
»Äh … Hast du deine Waffe dabei?«
»Wieso? Ist das ein
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