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Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)

Titel: Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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der Küche, esse und warte auf das schon vertraute Rattern von Tuckers Pick-up auf der Auffahrt. Als ich mir gerade ein Glas Orangensaft eingieße, schrecke ich zusammen, weil Mama kommt.
    «Du bist früh auf.» Sie mustert ihre neue Tochter, die als Waldläuferin vor ihr steht, in Wanderschuhen, wasserabweisenden Shorts, sportlichem Poloshirt und mit dem Rucksack über einer Schulter. Wahrscheinlich sehe ich aus wie einer Werbung für Wanderbekleidung entsprungen. «Wo willst du denn hin?»
    «Zum Angeln», antworte ich und trinke schnell mein Glas Orangensaft aus.
    Ihre Augenbrauen heben sich. Zum Angeln bin ich noch nie gefahren. Lachssteaks zum Abendessen marinieren war bisher das Einzige, was ich mit Fisch zu tun hatte.
    «Mit wem?»
    «Ein paar Leuten aus der Schule», sage ich und winde mich innerlich. Ganz gelogen ist das ja nicht, sage ich mir. Tucker ist aus der Schule.
    Sie legt den Kopf auf die Seite.
    «Und was ist das für ein Geruch?», fragt sie und rümpft die Nase.
    «Insektenspray.» Mücken haben mich immer in Ruhe gelassen, aber offensichtlich fressen sie Tucker bei lebendigem Leib, wenn er sein Insektenspray vergisst. Also habe ich aus Solidarität auch welches genommen. «Alle benutzen das», erkläre ich meiner Mutter. «Es heißt, die Mücke ist der für Wyoming typische Vogel.»
    «Du hast dich inzwischen richtig gut eingelebt.»
    «Na ja, ich war auch vorher nicht ganz ohne Freunde», sage ich ein bisschen zu heftig.
    «Natürlich nicht. Aber etwas ist anders, glaube ich. Etwas ist anders.»
    «Ach, i wo.»
    Sie lacht.
    «Ach, i wo?»
    «Na gut, ich rede jetzt ein bisschen wie die anderen in der Schule», sage ich. «Andauernd sagen sie das, also hab ich es mir auch angewöhnt. Aber die Leute behaupten, dass ich immer noch zu schnell rede und deshalb unmöglich aus Wyoming stammen kann.»
    «Das ist schon in Ordnung», sagt sie. «Ich meine, sich einzuleben.»
    «Besser, als aufzufallen», entgegne ich nervös. Gerade habe ich den rostigen blauen Pick-up gesehen, der durch die Bäume die Auffahrt vors Haus hinauffährt.
    «Ich muss los, Mama.» Ich umarme sie schnell. Dann bin ich zur Tür raus, die Auffahrt runter und springe in Tuckers Truck, der noch nicht vollständig zum Stehen gekommen ist. Überrascht schreit er auf und steigt auf die Bremse.
    «Lass uns fahren.» Ich schenke ihm ein unschuldiges Lächeln. Er kneift die Augen zusammen.
    «Was ist denn los mit dir?»
    «Gar nichts.»
    Er runzelt die Stirn. Er merkt immer sofort, wenn ich lüge. Ärgerlich, da ich doch so viel vor ihm geheim halten muss. Ich seufze.
    «Meine Mutter ist wieder zu Hause», gestehe ich.
    «Und du willst nicht, dass sie dich mit mir sieht?», fragt er gekränkt. Ich schaue über die Schulter zurück und sehe deutlich Mamas Gesicht am Wohnzimmerfenster. Ich winke ihr zu, dann sehe ich wieder Tucker an.
    «Ach was, Dummkopf», sage ich. «Ich freue mich total darauf, Fliegenfischen zu lernen, das ist alles.»
    Er glaubt mir immer noch nicht, aber er lässt es mir durchgehen. Durch die Windschutzscheibe begrüßt er Mama, indem er sich an den Hut tippt. Ihr Kopf verschwindet vom Fenster. Ich entspanne mich. Es ist ja nicht so, dass ich von Mama nicht mit Tucker gesehen werden will. Ich will ihr nur nicht die Gelegenheit geben, Tucker ins Kreuzverhör zu nehmen. Oder mich ins Kreuzverhör zu nehmen, weil sie wissen will, was in aller Welt ich mit ihm mache. Weil ich selbst nicht den Schatten einer Ahnung habe, was in aller Welt ich mit Tucker Avery mache.

    «Fliegenfischen ist ganz leicht», erklärt mir Tucker etwa zwei Stunden später, nachdem er mir alle Einzelheiten des Angelns von der relativen Sicherheit des Ufers aus erläutert hat. «Du musst einfach nur denken wie ein Fisch.»
    «Klar. Ich denke wie ein Fisch.»
    «Mach dich nicht lustig», ermahnt er mich. «Schau auf den Fluss. Was siehst du?»
    «Wasser. Steine und Zweige und Schlamm.»
    «Guck genauer hin. Der Fluss ist eine ganz eigene Welt aus schnell und langsam, tief und seicht, hell und schattig. Wenn du es so siehst, wie eine Landschaft, in der die Fische leben, wird es einfacher sein, einen zu fangen.»
    «Schön gesagt. Bist du so eine Art Cowboy-Poet?»
    Er wird rot, was ich total süß finde.
    «Guck einfach», brummelt er.
    Ich schaue den Fluss hinauf. Es sieht wirklich alles so aus wie eine ganz ureigene kleine Ecke des Paradieses. Goldfarbene Staubkörnchen aus Sonnenlicht durchtrennen die Luft, tiefe Einbuchtungen aus Schatten am

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