Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
von Angesicht zu Angesicht gesehen, und schon bin ich wie besessen von seinen Lippen.
«Danke wegen vorhin», sage ich.
«O bitte, gern geschehen.»
«He, können wir gehen?» Kay kommt zu uns rüber und legt ihm in einer entschieden besitzergreifenden Geste die Hand in den Nacken und fährt ihm mit den Fingern durchs Haar. Ihr Gesichtsausdruck ist so bemüht neutral, dass er auch aufgesprüht sein könnte, gerade so, als wäre es ihr egal, mit wem ihr Freund spricht. Christian dreht sich um und schaut zu ihr auf, sein Gesicht ist praktisch auf einer Höhe mit ihren Brüsten. Um den Hals trägt sie an einer Kette ein halbes Herz aus glänzendem Silber, darauf die Initialen C. P. Er lächelt.
Und damit ist der Zauber gebrochen.
«Klar, einen kleinen Moment noch», sagt er. «Kay, das ist …»
«Clara Gardner», sagt sie und nickt. «Sie ist in meinem Englischkurs. Ist aus Kalifornien hierhergezogen. Mag keine Vögel. Ist nicht sonderlich gut in Mathe.»
«Stimmt, das ist die Kurzfassung», bestätige ich.
«Wie? Hab ich was verpasst?», fragt Christian verwirrt.
«Nein. Nur eine blöde Übung, die wir bei Phibbs in Englisch gemacht haben. Wir sollten jetzt lieber gehen, wenn wir nicht zu spät in die nächste Stunde kommen wollen», sagt sie, und dann dreht sie sich zu mir um und lächelt, wobei sie ihre perfekten weißen Zähne aufblitzen lässt. Ich könnte wetten, dass sie früher mal eine Zahnspange getragen hat. «Es gibt da ein tolles China-Restaurant ungefähr eine Meile von hier; wir gehen immer gern zum Mittagessen hin. Das musst du bei Gelegenheit mal mit deinen Freundinnen ausprobieren.» Will heißen: Du und ich werden nie Freundinnen sein .
«Ich esse gern Chinesisch», antworte ich.
Christian springt vom Stuhl auf. Kay hakt sich bei ihm unter, lächelt ihn mit Wimpernaufschlag an und dirigiert ihn aus der Cafeteria.
«Noch mal», ruft er zu mir zurück. «Freut mich, dich kennenzulernen.»
Und dann ist er verschwunden.
«Wow», meint Wendy, die ohne einen Laut von sich zu geben die ganze Zeit neben mir gesessen hat. «Beeindruckender Flirtversuch.»
«Ich denke, ich war beflügelt», sage ich, immer noch ein bisschen weggetreten.
«Tja, ich glaube, hier gibt es kaum ein Mädchen, das beim Anblick von Christian Prescott nicht beflügelt wäre», sagt sie, woraufhin die anderen Mädchen anfangen zu kichern.
«In meinem ersten Jahr habe ich davon geträumt, er würde mit mir zum Abschlussball gehen und ich würde Ballkönigin», seufzt die, die ich für Emma halte und die sofort rot wird. «Aber jetzt bin ich drüber weg.»
«Ich würde jede Wette eingehen, dass Christian in diesem Jahr Abschlussballkönig wird.» Wendy rümpft die Nase. «Königin wird wohl Kay. Du solltest lieber aufpassen.»
«Ist sie so schlimm?»
Wendy lacht, dann zuckt sie mit den Schultern.
«Kay und ich waren früher, in der Grundschule, beste Freundinnen. Mal war sie über Nacht bei uns, mal ich bei ihr, wir haben Teepartys für unsere Puppen gemacht und so was, aber als wir dann auf die Junior High School kamen, da war es, als wenn …» Traurig schüttelt Wendy den Kopf. «Sie ist sehr verwöhnt. Trotzdem ist sie ganz nett, wenn man sie näher kennenlernt. Sie kann zuckersüß sein. Aber komm ihr nur ja nicht in die Quere.»
Ich bin ziemlich sicher, dass ich Kay Patterson längst in die Quere gekommen bin. Das war deutlich zu merken gewesen; ihre Stimme hatte sie nämlich bewusst hell und freundlich klingen lassen, allerdings war da ein Unterton von Verachtung herauszuhören.
Ich schaue mich in der Cafeteria um. Mein Blick bleibt an dem schwarzhaarigen Mädchen aus dem Englischkurs hängen, Angela Zerbino. Sie sitzt allein an einem Tisch, ihr Mittagessen steht unangerührt vor ihr und sie liest in einem dicken schwarzen Buch. Sie schaut auf und nickt, nur die winzige Andeutung des Kopfes, wie um zu zeigen, dass sie mich erkannt hat. Einen Moment lang blicken wir uns noch in die Augen, dann gucke ich weg. Sie liest weiter in ihrem Buch.
«Und was ist mit ihr?», frage ich Wendy und deute mit dem Kopf in Richtung Angela.
«Angela? Sie ist kein Freak oder so. Sie ist nur lieber allein. Offenbar ist sie sehr ernsthaft. Sehr konzentriert. So war sie schon immer.»
«Und was ist das Pink Garter ? Es klingt wie ein … du weißt schon, ein Haus, in dem … na ja …»
Wendy lacht. «Ein Bordell?»
«Ja», sage ich verlegen.
«Das Pink Garter ist hier in der Stadt so eine Kombination aus Restaurant und
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