Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
aufgefallen: die Betuchten – die Reichen und Schönen, deren Eltern Restaurants und Kunstgalerien oder Hotels besitzen; und die viel kleinere und viel unauffälligere Gruppe der armen Schlucker – also die Schüler, deren Eltern für die reichen Bewohner von Jackson Hole arbeiten. Um den großen Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen auszumachen, braucht man sich bloß Kay mit der aufgebrezelten Frisur und den Fingernägeln mit French Manicure anzugucken und danach Wendy, die zwar, keiner würde das leugnen, hübsch ist, aber ihr Haar mit den von der Sonne gebleichten Strähnen schlicht im Nacken zusammenbindet und sich die Fingernägel kurz und praktisch schneidet und nicht lackiert.
Und wie passe ich da rein?
Mir ist ziemlich schnell klar geworden, dass unser großes Haus mit Blick auf die Berge bedeutet, dass wir mächtig viel Zaster haben, Geld, das Mama in Kalifornien mit keinem Wort erwähnt hat. Offenbar sind wir stinkreich. Trotzdem hat uns Mama aufwachsen lassen, ohne uns etwas von dem Reichtum zu erzählen. Immerhin hat sie die große Wirtschaftskrise unbeschadet überstanden, aber sie besteht darauf, dass Jeffrey und ich jede Woche einen Teil unseres Taschengelds sparen, dass wir noch den letzten Krümel von unseren Tellern aufessen, sie stopft unsere Socken und flickt unsere Kleidung und stellt die Heizung niedrig, denn wir können ja einen weiteren Pullover überziehen.
«Ja, du hast mich akzeptiert, aber wieso?», entgegne ich. «Du musst ein Freak sein. Entweder das, oder du willst mich zu deiner geheimen Pferdesekte bekehren.»
«Verdammt, du hast mich durchschaut!», sagt sie theatralisch. «Du hast meinen üblen Plan durchkreuzt.»
«Wusste ich es doch!»
Ich mag Wendy. Sie ist schräg und gleichzeitig nett, und einfach ein guter Mensch. Und sie hat mich vor einem Dasein als Freak gerettet, auch davor, meine Freunde in Kalifornien allzu sehr zu vermissen. Wenn ich einen von ihnen anrufe, kann man schon merken, dass wir uns nicht mehr viel zu sagen haben, jetzt da ich so weit weg bin. Ihr Leben geht auch ohne mich prima weiter.
Aber darum geht es gar nicht, auch nicht darum, ob ich nun zu den Betuchten oder den armen Schluckern gehöre. Mein wirkliches Problem hat nichts mit arm oder reich zu tun, sondern mit der Tatsache, dass sich die meisten Schüler von der Jackson Hole High seit dem Kindergarten kennen. Schon vor Jahren haben sie sich in festen Cliquen zusammengefunden. Auch wenn es eher meiner Neigung entspricht, mich an die Bescheideneren zu halten, ist Christian doch einer von den Reichen und Schönen, also gehöre ich auch dahin. Aber da gibt es Hindernisse. Riesige, himmelschreiende Hindernisse. Das Mittagessen zum Beispiel. Die Angesagten verlassen zum Mittagessen meist das Schulgelände. Was auch sonst. Wenn einer Geld hat und ein Auto, warum sollte er dann auf dem Schulgelände bleiben und Hähnchenschnitzel futtern? Zwar habe ich Geld und ein Auto, aber in der ersten Woche bin ich auf den vereisten Straßen derart ins Schleudern geraten – Jeffrey fand unseren kleinen Schlenker mitten auf der Autobahn besser als eine Achterbahnfahrt –, dass wir jetzt mit dem Bus fahren. Und das bedeutet, dass ich über Mittag nicht vom Schulgelände runterkomme, es sei denn, es nimmt mich jemand mit, und ich werde nicht gerade mit Angeboten überhäuft. Was mich zu Hindernis Nummer zwei bringt: Offenbar bin ich schüchtern, jedenfalls in Gegenwart von Leuten, die mich nicht beachten. In Kalifornien ist mir das nie aufgefallen. In meiner alten Schule musste ich mich auch nie sonderlich kontaktfreudig geben; meine Freunde dort fanden irgendwie ganz automatisch zu mir. Hier sieht die Sache anders aus, vor allem wegen Hindernis Nummer drei: Kay Patterson. Freundschaften schließen ist gar nicht so einfach, wenn das beliebteste Mädchen der Schule einem die Arschkarte zeigt.
Am nächsten Morgen kommt Jeffrey in die Küche und präsentiert den Aufdruck auf seinem T-Shirt: Wenn Idioten fliegen könnten, wäre die Welt ein Flugplatz . Ich weiß, in der Schule werden das alle komisch finden und kein bisschen beleidigt sein, weil sie ihn mögen. Für ihn ist alles immer so einfach.
«He, ist dir heute nach Fahren?», fragt er. «Ich hab keinen Bock auf den Fußmarsch zur Bushaltestelle. Dazu ist es viel zu kalt.»
«Ist dir heute nach Sterben?»
«Klar. Ich setz mein Leben immer gern aufs Spiel. Dann weiß man, was wirklich wichtig ist.»
Ich werfe meinen Bagel in seine Richtung, und er
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