Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Tag vor der Klasse auf ihn wartet. Als hätte sie gesehen, wie die Neue an diesem ersten Tag in der Cafeteria ihren Freund angeschaut hat, und als wollte sie nicht, dass sich das je wiederholt. Mir bleiben also nur die kostbaren Minuten vor der Stunde, und bisher hat nichts von dem, was ich getan oder gesagt habe, eine deutliche Reaktion bei Christian hervorgerufen.
Aber morgen ist T-Shirt-Tag. Ich brauche ein T-Shirt, das ein Gespräch in Gang bringt.
«Mach dir keinen Kopf deswegen», sagt Wendy nach der Schule, als ich mit einer Parade von T-Shirts vor ihr posiere. Sie sitzt im Schneidersitz in meinem Zimmer auf dem Fußboden, die Beine untergeschlagen, der Inbegriff der allerbesten Freundin, die bei einer schwerwiegenden Modeentscheidung hilft.
«Sollte es vielleicht eins mit einer Band sein?», frage ich. Ich hebe ein schwarzes Shirt mit Aufdruck von einer Tournee der Dixie Chicks hoch.
«Die nicht.»
«Wieso nicht?»
«Vertrau mir.»
Ich suche eines von meinen Lieblings-T-Shirts raus, ein dunkelgrünes mit Elvis drauf, das ich vor ein paar Jahren bei einem Ausflug nach Graceland gekauft habe. Der junge Elvis, der verträumte Elvis, der sich über seine Gitarre beugt.
Wendy gibt sich zurückhaltend.
Ich nehme ein T-Shirt in Pink mit der Aufschrift Alle Welt liebt Mädchen aus Kalifornien . Das könnte der Renner sein, die Chance, das auszuspielen, was Christian und ich gemeinsam haben. Aber es würde sich auch schmerzhaft mit meinem orangefarbenen Haar beißen.
Wendy schnaubt. «Ich glaube, mein Bruder hat vor, ein T-Shirt mit dem Aufdruck Hau wieder ab nach Kalifornien zu tragen.»
«Ätzend. Was ist eigentlich sein Problem mit Kaliforniern?»
Sie zuckt mit den Schultern. «Das ist eine lange Geschichte. Im Grunde ist es so: Meinem Opa gehörte mal die Lazy Dog Ranch, und jetzt gehört sie einem reichen Kalifornier. Meine Eltern verwalten sie nur für ihn, und Tucker macht das extrem wütend. Außerdem hast du Bluebell beleidigt.»
«Bluebell?»
«Hier bei uns musst du mit heftigen Konsequenzen rechnen, wenn du den Truck eines Mannes nicht mit Respekt behandelst.»
Ich lache. «Na ja, der sollte sich allmählich mal wieder einkriegen. Gestern in Englischer Geschichte hat er doch tatsächlich versucht, mich auf den Scheiterhaufen zu bringen. Da sitze ich ganz friedlich da, kümmere mich nur um meinen eigenen Kram, mache mir Notizen wie eine brave Schülerin, und aus heiterem Himmel meldet sich Tucker und beschuldigt mich, eine Hexe zu sein.»
«Das sieht Tucker ähnlich», meint Wendy.
«Alle mussten darüber abstimmen. Ich hab mein kleines klösterliches Leben nur knapp gerettet. Aber ich werde mich rächen.»
Christian, so erinnere ich mich voller Freude, hatte gegen meine Verbrennung gestimmt. Natürlich zählt seine Stimme nicht viel, weil er ja nur Leibeigener ist. Aber trotzdem: Er wollte nicht, dass ich sterbe, nicht mal in der Theorie. Das muss doch was zu bedeuten haben.
«Du weißt schon, dass ihn das nur noch mehr anspornen wird, oder?», fragt Wendy.
«Ach, mit deinem Bruder werde ich schon fertig. Außerdem bekommen die, die am Ende des Schuljahres noch am Leben sind, einen Preis. Und ich bin Überlebenskünstler.»
Jetzt muss Wendy lachen. «Na ja, Tucker auch.»
«Ich kann kaum glauben, dass du dir mit ihm eine Gebärmutter geteilt hast.»
Sie lächelt. «Es gibt Momente, da geht mir das genauso», sagt sie. «Aber er ist in Ordnung. Das versteckt er nur manchmal ganz gut.»
Sie schaut aus dem Fenster, das Gesicht leicht gerötet. Habe ich sie beleidigt? Bei all dem Herumgealbere über den nervtötenden Tucker ist sie, was ihn angeht, womöglich doch empfindlich? Eigentlich kann ich das ganz gut nachvollziehen. Ich kann mich über Jeffrey so viel lustig machen, wie ich will, aber wenn einer meinem kleinen Bruder in die Quere kommt, kriegt er es mit mir zu tun.
«Also Elvis dann? Allmählich hab ich nämlich nichts mehr anzubieten.»
«Klar.» Sie lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und reckt die Arme über den Kopf, als hätte die Unterhaltung sie müde gemacht. «Kümmert doch sowieso keinen.»
«Na ja, gut, du bist schließlich schon ewig hier», erinnere ich sie. «Dich akzeptieren sie. Wenn ich einen Fehler mache, stelle ich mir vor, dass mich die anderen wütend vom Schulgelände jagen.»
«O bitte. Dich akzeptieren sie auch. Ich hab dich akzeptiert, oder etwa nicht?»
Bisher sind mir grundsätzlich zwei Gruppen von Leuten an der Jackson Hole Highschool
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