Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
diesmal ein längeres, wärmeres Lachen.
«Sie belegt die Kurse, die sich gut auf den Bewerbungen fürs College machen, aber Bücher sind nicht ihre Sache», sagt er.
Ich mag gar nicht darüber nachdenken, was ihre Sache sein könnte. Ich mag über Kay überhaupt nicht nachdenken, aber da wir schon mal über sie reden, bin ich neugierig geworden.
«Seit wann seid ihr zusammen?»
«Seit dem zweiten Jahr auf der Highschool, seit Herbst», antwortet er. «Sie ist eine von den Cheerleadern, und ich hab damals Football gespielt. Bei einem Heimspiel hat sie sich verletzt, beim Liberty Twist – oder wie das heißt, normalerweise erzählt Kay die Geschichte. Jedenfalls ist sie gestürzt und hat sich den Knöchel verletzt.»
«Lass mich raten. Du hast sie vom Spielfeld getragen. Und seitdem seid ihr glücklich bis ans Ende aller Tage?»
Verlegen wendet er den Kopf ab. «So ungefähr», antwortet er.
Und wie aufs Stichwort stellt sich das peinlich berührte Schweigen ein.
«Kay scheint …», nett zu sein, will ich sagen, aber ich glaube nicht, dass ich das durchziehen kann. «Ihr scheint wirklich viel an dir zu liegen.»
Einen Moment lang schweigt er, starrt einfach nur die Rennstrecke hinauf, die jemand auf einem Snowboard runtergefahren kommt.
«Sie ist», sagt er nachdenklich und redet dabei mehr mit sich selbst als mit mir. «Sie ist ein guter Mensch.»
«Toll», bringe ich heraus. Die Option, dass Kay ein guter Mensch sein könnte, will ich gar nicht in Betracht ziehen. Ich bin vollauf zufrieden, wenn ich sie mir als böse Hexe vorstellen kann.
Er hüstelt vor Verlegenheit, und mir wird klar, dass ich ihn mit meinen riesigen Eulenaugen anstarre. Ich werde rot und schaue auf den Hang, wo der Snowboarder gerade über die Ziellinie fährt.
«Klasse Lauf!», ruft Christian. «Astrein!»
«Danke, Alter», ruft der Snowboarder zurück. Er zieht sich die Brille ab. Es ist Shawn Davidson, Snowboarder Shawn, der Typ aus der Pizzeria, der mich Bozo genannt hat. Er sieht mich an, dann Christian, dann wieder mich. Ich spüre seinen Blick auf mir wie einen Scheinwerfer.
«Ich will dann mal», sagt Christian. «Das Rennen ist aus. Der Trainer wird es mit uns analysieren wollen, die Videos gucken und so.»
«Okay», erwidere ich. «War schön, dich …»
Aber er ist schon weg, den Hügel runter, und ich muss wieder einmal allein den Berg hinabfahren.
Ende März gibt es ein paar warme Tage, und der Schnee im Tal schmilzt innerhalb von achtundvierzig Stunden. Die Wälder sind auf einmal voller weiter Flächen mit roten und violetten Wildblumen. Hellgrüne Blätter sprießen auf den Espen. Das Land, das den ganzen Winter über so ruhig und makellos gewesen ist, füllt sich mit Farben und Geräuschen. Jetzt stehe ich gern auf unserer Veranda hinterm Haus und horche darauf, wie der leichte Wind die Bäume bewegt und rhythmisch flüstern lässt, auf den Bach, der fröhlich plätschernd auf unserem Grundstück eine Wende macht, höre Vögel zwitschern (die gelegentlich auf mich runterstürzen), höre Backenhörnchen keckern. Die Luft duftet nach Blumen und von der Sonne gewärmten Kiefern. Die Berge hinterm Haus sind noch weiß vom Schnee, doch der Frühling ist endgültig hervorgebrochen.
Und mit dem Frühling kommt die Vision mit aller Macht. Den ganzen Winter über hatte dieses besondere Kribbeln in meinem Kopf Ruhe gegeben; tatsächlich habe ich es seit dem ersten Schultag, als ich Christian auf dem Korridor sah, erst zweimal erlebt. Ich hatte schon gedacht, ich bekäme eine kleine himmlische Ruhepause, aber die ist nun offensichtlich vorbei. Eines Morgens, ich bin gerade auf dem Schulweg, bin ich aus heiterem Himmel (peng!) wieder in dem vertrauten Wald und gehe durch die Bäume auf Christian zu.
Ich rufe seinen Namen. Er dreht sich zu mir um, seine Augen strahlen grüngolden in der schrägstehenden Nachmittagssonne.
«Du bist es», sagt er heiser.
«Ja, ich bin es», antworte ich. «Ich bin hier.»
«Clara!»
Ich blinzele. Das Erste, was ich sehe, ist Jeffreys Hand auf dem Lenkrad von meinem Prius. Den Fuß habe ich immer noch leicht auf dem Gaspedal. Der Wagen bewegt sich ganz langsam an den Straßenrand.
«Tut mir leid», sage ich atemlos. Sofort lenke ich ganz rüber und parke. «Tut mir leid, Jeffrey.»
«Schon okay», brummelt er. «Es war die Vision, stimmt’s?»
«Ja.»
«Die kannst du ja nicht kontrollieren.»
«Stimmt, aber man rechnet ja nicht unbedingt in einem Moment damit, wenn es einen
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