Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
wussten, und davon sollte ich ihm erzählen, er sollte darüber Bescheid wissen, aber mit seinen Blicken bittet er mich, ihm nicht noch mehr wegzunehmen.
Unsere Mutter hat uns erzählt, dass wir etwas Besonderes sind – aber was für eine «Gabe» das ist, wird sich dann in einem Krieg zwischen den Engeln zeigen? Vielleicht will auch ich mir nicht noch mehr wegnehmen lassen. Vielleicht will ich gar nichts Besonderes sein, will nicht fliegen oder eine seltsame Engelsprache sprechen oder für die Welt einen heißen Typen nach dem anderen retten. Ich will einfach nur ein Mensch sein.
«Pass auf dich auf, ja?», sage ich zu Jeffrey.
«Mach ich.» Dann fügt er hinzu: «Danke … Du bist ziemlich in Ordnung … manchmal, weißt du?»
«Denk nächstes Mal dran, wenn du mich um fünf Uhr morgens aus dem Bett zerrst», sage ich müde. «Ach, übrigens, viele Grüße an Kimber.»
Dann flüchte ich in mein Zimmer, liege im Dunkeln und kann das Wort «Schwarzflügel» nicht aus meinen Gedanken löschen.
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Blaues-Quadrat-Mädchen
Heute Morgen scheint die Sonne so hell, dass ich das Gefühl habe, auf einer gefrorenen Wolke zu sein. Ich stehe oben an einer Abfahrt mit dem Namen Offene Weite . Sie ist mit einem doppelten blauen Quadrat bezeichnet – schwieriger als grüner Kreis, aber noch nicht das Niveau von schwarzem Karo. Dahin werde ich schon noch kommen. Das Tal unten ist so weiß, so friedlich und ruhig, dabei haben wir schon die erste Märzwoche.
Ich richte meine Skibrille, schlüpfe mit den Händen in die Schlaufen der Skistöcke und beuge mich in den Skistiefeln nach vorn, um die Bindungen zu testen. Alles in Ordnung. Ich stürze mich den Hang hinunter. Die kalte Luft peitscht den unbedeckten Teil meines Gesichts, kann das idiotische Grinsen dort aber nicht vertreiben. Es fühlt sich so gut an, es ist dem Fliegen so nah, wie ich dem Fliegen nur kommen kann. In Momenten wie diesen kann ich die Gegenwart meiner Flügel spüren, obwohl sie nicht zu sehen sind. Auf der einen Seite der Abfahrt gibt es ein paar kleine Schneehügel, und ich probiere sie aus, fahre hinauf und wieder hinunter. So spüre ich die Kraft in meinen Knien, meinen Beinen. Auf diesen kleinen Schneehügeln bin ich inzwischen schon richtig gut. Und im Pulverschnee; wie durch Wolken gleiten fühlt sich das an, bis an die Knie sinkt man ein in pudrigen weißen Schnee, der hinter einem auffliegt, wenn man in voller Fahrt ist. Ich bin bei Neuschnee so gern als Erste auf der Abfahrt, damit ich meine Spur in dem frischen Pulver ziehen kann.
Die Leidenschaft fürs Skifahren hat mich gepackt. Zu schade, dass die Saison fast vorbei ist.
Die Offene Weite führt mich zur South Pass Traverse , einem Pfad, der sich fast horizontal zum Berg bewegt. Ich richte meine Ski gerade aus, stoße mich ab, um Schwung zu bekommen, und jage durch die Bäume. Irgendwo da oben zwitschert ein Vogel, und als ich vorbeikomme, hört er auf. Der Pfad führt auf eine weitere gepflegte Abfahrt, die Werner heißt, eine meiner Lieblingsstrecken, und ich halte am Rand an. Ein paar Leute setzen gerade riesige Slalomtore auf den Hügel. Heute findet ein Rennen statt.
Was bedeutet, dass Christian hier sein wird.
«Um wie viel Uhr beginnt das Rennen?», frage ich einen der Männer, der die Tore aufbaut.
«Punkt zwölf», ruft er zurück.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor elf. Ich sollte etwas essen gehen und dann mit dem großen Schneemobil rauf zur Werner-Abfahrt fahren und mir das Rennen ansehen.
In der Skihütte entdecke ich Tucker Avery beim Mittagessen mit einem Mädchen. Das ist mal was ganz Neues. In diesem Winter habe ich praktisch jedes Wochenende in Teton Village verbracht (ein Hoch auf Mama, dass sie sich nicht über den lächerlich teuren Skipass aufgeregt hat), und jedes Mal habe ich irgendwann am Nachmittag Tucker gesehen, wenn er mit seinem Unterricht am Idiotenhügel fertig war. Am Berg begegne ich ihm so gut wie nie. Er zieht zum Skifahren das Hinterland vor, abseits der fest abgesteckten Strecken. Das habe ich noch nicht ausprobiert – offensichtlich sollte man dabei nicht allein sein, damit jemand Hilfe holen kann, wenn etwas passiert. Auf extreme Sachen stehe ich nicht so – mein Ziel ist es, das Mädchen für die Schwarze-Karo-Strecken zu werden, nichts Ausgefallenes. Teton Village ist lustig mit seinen Schildern, die einen ständig daran erinnern, dass man sich in Acht nehmen muss: Dieser Berg ist etwas, was Sie vorher noch
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