Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
nicht erlebt haben , und die Schilder sagen einem auch, was passiert, wenn man nicht weiß, was man tut: Sie könnten zu Tode kommen . Auf den Schildern im Hinterland stehen Sachen wie: Ab hier begeben Sie sich in risikoreiches Gelände. Es gibt zahlreiche Gefahren, darunter Lawinen, steile Abhänge und verborgene Hindernisse und vieles mehr. Unter Umständen werden Sie für die Kosten Ihrer Rettung aufkommen müssen. Und dann denke ich: Ähm, nein danke. Ich entscheide mich fürs Leben.
Ist dieses Mädchen, das da mit Tucker spricht, seine Partnerin fürs schwierige Gelände? Ich mache diskret ein paar Schritte zur Seite, damit ich ihr Gesicht sehen kann. Es ist Ava Peters. Sie ist in meinem Chemiekurs, auf jeden Fall eine von den Reichen und Schönen, ein bisschen zu vollbusig, und sie hat dieses superhellblonde Haar, das fast weiß aussieht. Ihrem Vater gehört eine Firma, die Canyoning-Touren organisiert. Es überrascht mich nicht sonderlich, dass ich Tucker mit einem angesagten Mädchen sehe, obwohl er selbst eindeutig zu den Habenichtsen gehört. In der Schule ist mir aufgefallen, dass er einer von den Typen ist, die mit allen klarkommen. Mit allen außer mir, offenbar.
Ava hat die Augen zu stark geschminkt. Ich überlege, ob er so was wohl mag.
Er guckt zu mir rüber und grinst, ehe ich wegsehen kann. Ich grinse zurück, dann versuche ich, graziös zum Buffet zu schlendern, aber es klappt nicht. In Skistiefeln kann man nicht graziös schlendern.
Mit einigen wenigen Zuschauern stehe ich am Werner-Hang und schaue zu, wie sich Christian auf die Slalomtore stürzt. Manchmal streift er sie beim Vorbeifahren mit den Schultern. Es sieht elegant aus, wie sich sein Körper dem Tor zuneigt, seine Skier sich auf die Kanten drehen und seine Knie beinahe den Schnee berühren. Seine Bewegungen sind so sorgsam, so bewusst gesetzt. Vor lauter Konzentration hat er die Lippen gespitzt.
Als er über die Ziellinie schießt, watschele ich wie ein Pinguin zu dem Platz, von wo aus er die anderen Rennläufer beobachtet, und sage hallo.
«Hast du gewonnen?», frage ich.
«Ich gewinne immer. Außer, wenn ich verliere. Und heute ist so ein verlorener Tag.» Er zuckt mit den Schultern, als mache es ihm nichts aus, aber an seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er mit seiner Leistung unzufrieden ist.
«Für mich hat es gut ausgesehen. Schnell, meine ich.»
«Danke», antwortet er. Er knibbelt an der Nummer herum, die an seiner Brust festgesteckt ist: der Neun. Das erinnert mich an 99CX, sein Nummernschild.
«Versuchst du, ins Olympiakader zu kommen?»
Er schüttelt den Kopf. «Nein. Ich bin im Skiteam, nicht im Skiclub.»
Ich muss verwirrt aussehen, denn er lächelt und erklärt: «Das Skiteam ist das offizielle Team der Highschool und tritt nur gegen andere Teams aus Wyoming an. Die richtigen Asse gehen alle in den Skiclub, da sind die Läufer, die Sponsoren finden und national anerkannt sind und so was.»
«Willst du denn keine Goldmedaillen gewinnen?»
«Ich war mal eine Zeitlang im Club. Aber das war mir ein bisschen zu hart. Zu viel Druck. Ich will kein Skiprofi werden. Ich laufe nur einfach gern Ski. Ich mag Rennen.» Plötzlich grinst er. «Geschwindigkeit kann süchtig machen.»
Ja, das kann sein. Ich lächle. «Ich versuche immer noch, heil den Hang runterzukommen.»
«Und wie läuft es? Hast du allmählich Spaß dran?»
«Es wird jeden Tag besser.»
«Dann wirst du auch bald fit sein für die Rennstrecke.»
«Ja klar, und dann nimm dich lieber in Acht.»
Er lacht. «Bestimmt fährst du mich in Grund und Boden.»
«Sicher.»
Er sieht sich um, als ob er jemanden erwartet. Das macht mich nervös, irgendwie denke ich, Kay könnte jeden Moment erscheinen und von mir verlangen, dass ich Abstand von ihrem Freund halte.
«Fährt Kay auch Ski?», frage ich.
Er lacht kurz auf. «Nein, sie ist ein Skihüttenhäschen. Wenn sie denn überhaupt mal mitkommt. Skifahren kann sie zwar, aber sie sagt, ihr wird zu schnell kalt. Sie verabscheut die Skisaison, weil ich dann mit ihr an den Wochenenden kaum was unternehmen kann.»
«Echt blöd.»
Er guckt sich wieder um.
«Ja», sagt er.
«Kay ist in meinem Englischkurs. Aber sie sagt kaum was. Ich frage mich immer, ob sie die Bücher, die wir besprechen, überhaupt gelesen hat.»
Na wunderbar, mein loses Mundwerk hat die Verbindung zum Gehirn vollständig gekappt. Ich sehe ihm in die Augen, weil ich wissen will, ob ich ihn beleidigt habe. Aber er lacht nur wieder,
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