Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
sie ihre Flügel und den himmlischen Glanz zeigen würden. Aber das dürfen sie ja nicht, oder?»
«Wir dürfen uns niemals zu erkennen geben», antwortet Mama und wirft mir einen kurzen Blick zu, «obwohl es auch Ausnahmen gibt. Dieser Glanz hat eine bestimmte Wirkung auf die Menschen.»
«Und die wäre?»
«Er jagt den Menschen einen fürchterlichen Schrecken ein.»
Ich setze mich auf. Das hatte ich nicht gewusst und Angela auch nicht.
«Aha, verstehe», sagt Angela, für die es jetzt kein Halten mehr gibt. «Aber was ist denn dieser himmlische Glanz genau? Es muss doch mehr als einfach nur Licht sein, um solch eine Wirkung zu haben, oder?»
Mama räuspert sich. Mittlerweile ist ihr ziemlich unbehaglich zumute, denn jetzt werden Dinge angesprochen, die sie mir definitiv nie erzählt hat.
«Du sagst doch immer, wie viel leichter mir das Fliegen fallen würde, wenn ich den himmlischen Glanz nutzen könnte», falle ich mit ein, denn jetzt will ich sie nicht mehr vom Haken lassen. «Das hört sich an, als wäre es eine Art Energiequelle.»
Sie seufzt kaum merklich. «Dieses Leuchten ist unsere Verbindung zu Gott.»
Angela und ich brüten eine Weile darüber.
«Und wie funktioniert das?», fragt Angela. «Ist das so was wie beim Beten?»
«Wenn du im Glanz erstrahlst, bist du mit allem verbunden. Du kannst den Atem der Bäume spüren. Du könntest die Federn auf einem Vogelflügel zählen. Du weißt, ob es regnen wird. Du bist Teil davon, Teil von dieser Kraft, die alles Leben verbindet.»
«Werden Sie uns beibringen, wie das geht?», fragt Angela. Die ganze Unterhaltung beeindruckt sie zutiefst. Sie brennt darauf, ihren Block rauszuholen und sich ein paar wichtige Notizen zu machen.
«Das kann man niemandem beibringen. Du musst lernen, innerlich ganz ruhig zu werden, alles hinter dir zu lassen, abgesehen von deinem innersten Wesen, von dem, was dich, und nur dich, ausmacht. Es geht nicht um deine Gedanken oder deine Gefühle. Es geht um das innerste Selbst hinter all diesen Dingen.»
«Tja, das hört sich sehr schwierig an.»
«Ich war vierzig, als es mir zum ersten Mal richtig gut gelungen ist», erwidert meine Mutter. «Manch ein Engelblut erreicht dieses Stadium nie. Obwohl es auch durch intensive Erlebnisse oder Gefühle ausgelöst werden kann.»
«Wie die Sache mit Claras Haar, oder? Sie haben ihr erzählt, das es mit ihren Gefühlen zusammenhängt», sagt Angela.
Mama steht vom Tisch auf und geht zum Fenster.
«Oh. Mein. Gott. Halt endlich den Mund», flüstere ich Angela zu.
«Da steht ein blauer Pick-up in der Auffahrt», sagt Mama nach einer Weile. «Wendy ist gekommen.»
Ich lasse Mama und Angela in der Küche und laufe raus, um Wendy zu begrüßen, die mich, ohne es zu wissen, von diesem Engelgespräch erlösen wird.
Tucker hat sie hergefahren. Er steht in der Auffahrt, an Bluebell gelehnt, und schaut auf die Wälder, und irgendwie habe ich das Gefühl, er sollte nicht hier sein, sollte nicht in meine Wälder schauen oder meinem Bach lauschen oder mein Vogelgezwitscher genießen dürfen.
«He, Karotte», sagt er, als er mich sieht. Ich schaue mich nach Wendy um, dann sehe ich sie im Auto nach etwas suchen. «Schöner Tag zum Einkaufen», fügt er hinzu.
Er macht sich lustig über mich, denke ich, aber mir fällt nichts Kluges ein, was ich antworten könnte.
«Ja», sage ich.
Wendy schlägt schwungvoll die Autotür zu und tritt in dem Moment auf die Veranda, als Angela aus dem Haus kommt. «Hallo, Angela», sagt sie fröhlich. Sie ist offenbar wild entschlossen, zu dieser anderen besten Freundin von mir nett zu sein. «Wie geht’s?»
«Prima», sagt Angela.
«Ich freue mich schon so auf den Ausflug nach Idaho Falls. Ich bin schon eine Ewigkeit nicht mehr da gewesen.»
«Ich auch nicht.»
Tucker steht immer noch da. Er schaut wieder auf meine Wälder. Gegen alle Vernunft gehe ich von der Veranda runter und auf ihn zu.
«Ihr wollt Abschlussballkleider kaufen, was?», fragt er, als ich zu ihm komme.
«Mhm, so was in der Art. Wendy braucht Schuhe. Angela braucht auch noch ein paar Kleinigkeiten, ihre Mutter schneidert ihr ein Kleid. Und ich fahre mit, um ihnen Gesellschaft zu leisten, denke ich.»
«Du gehst nicht zum Ball?»
«Nein.» Verlegen gucke ich weg, hin zum Haus, wo Wendy plötzlich sehr vertieft in ihr bemühtes Gespräch mit Angela zu sein scheint.
«Wieso nicht?»
Ich sehe ihn mit einem Blick an, der sagt: «Was glaubst du wohl?»
«Es hat dich keiner
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