Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
dir Sorgen machst. Du kennst deine Aufgabe noch nicht. Du hast immer noch nur wenige winzige Mosaiksteinchen. Ich will dir den Kopf nicht mit vorgefassten Meinungen füllen, ehe du alles selbst siehst.»
Ein weiteres Zittern durchfährt mich.
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Halt den Mund und tanze
Am Montag ist allmählich alles zur Normalität zurückgekehrt. Ich gehe mit denselben Schülern über die Flure der Jackson High, und ich besuche dieselben langweiligen Kurse (damit meine ich nicht Englische Geschichte, wo ich Christian und Brady aufmerksam bei ihrem Referat über den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace zuhöre und mir einen Moment lang Christian in einem Kilt vorstelle), und bald schon erscheint mir der Schwarzflügel wie ein böser Traum, und ich fühle mich wieder sicher.
Trotzdem beschließe ich, dass ich die ganze Sache mit der Aufgabe ernster nehmen muss. Ich will nicht mehr so tun, als wäre ich ein ganz normales Mädchen. Denn das bin ich nicht. Ich bin ein Engelblut. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Ich muss mit dem Jammern aufhören, mit dem Zeitschinden, muss aufhören, alles in Frage zu stellen. Ich muss einfach.
Deshalb fange ich Christian am Mittwoch nach der Schule an seinem Garderobenschrank ab. Ich gehe einfach rüber zu ihm und berühre ihn an der Schulter. Ein leiser Schauer durchfährt mich wie ein elektrischer Schlag. Er dreht sich um und sieht mich mit seinen grünen Augen an. Er scheint nicht gerade in Plauderstimmung zu sein.
«Hallo, Clara», sagt er. «Kann ich dir bei irgendwas helfen?»
«Ich dachte, ich könnte dir helfen. Mir ist aufgefallen, dass du letzte Woche nicht bei Englischer Geschichte warst.»
«Mein Onkel ist mit mir zum Camping gefahren.»
«Willst du dir vielleicht die Notizen ausleihen, die ich mir im Unterricht gemacht habe?»
«Klar, das wäre toll», sagt er, und es hört sich so an, als interessiere Englische Geschichte ihn kein bisschen und er wolle mir nur einen Gefallen tun. Er ist einfach nicht er selbst, keine Witze, kein Selbstvertrauen, der unbewusste Ausdruck des Stolzes in seinem Gang ist weg. Er hat Schatten unter den Augen.
Ich reiche ihm meinen Notizblock. Gerade als er ihn nimmt, kommen ein paar Mädchen vorbei, beliebte Mädchen, Kays Freundinnen. Sie tuscheln und werfen ihm böse Blicke zu. Seine Schultern verkrampfen sich.
«Sie haben es bald vergessen», sage ich zu ihm. «Heute bist du die Sensationsmeldung, aber warte nur eine Woche. Das beruhigt sich schon wieder.»
«Ach ja? Woher willst du das wissen?»
«Ach, weißt du. Ich bin doch der Star der Gerüchteküche. Seit ich hier angekommen bin, macht jede Woche ein neues Gerücht über mich die Runde. Weil ich die Neue bin, nehme ich an. Hast du noch nicht gehört, dass ich den Basketballtrainer verführt habe? Das ist mein persönliches Lieblingsgerücht.»
«Die Gerüchte über mich sind nicht wahr», erklärt Christian nachdrücklich. «Ich habe mit Kay Schluss gemacht, nicht sie mit mir.»
«Oh. Nach meinen Erfahrungen sind Gerüchte meistens nicht …»
«Ich habe nur versucht, das Richtige zu tun. Ich bin nicht der, den sie braucht, und ich habe versucht, das Richtige zu sagen», sagt er, und in seinen Augen lodert eine Intensität, die mich daran erinnert, wie er in der Vision aussieht, diese Mischung aus Wildheit und Verletzlichkeit, die ihn umso begehrlicher macht.
«Das geht mich im Grunde nichts an», sage ich.
«Ich hatte keine Ahnung, dass es sich so entwickeln würde.»
Wir stehen auf dem Korridor, und die anderen Schüler strömen vorbei. An der Decke, praktisch über Christians Kopf baumelt ein Transparent mit der Ankündigung des Abschlussballs. Mythen der Liebe steht da in hellblauen Buchstaben. Samstag, von 19.00 Uhr bis Mitternacht. Mythen der Liebe.
Meine Gedanken rasen auf einmal in einer Geschwindigkeit von einer Million Meilen die Stunde, wie das Rad in Glücksrad . Dann hält es an.
«Willst du mit mir zum Abschlussball gehen?», platzt es aus mir heraus.
«Was?»
«Ich habe keinen Begleiter, du hast keine Begleiterin, also könnten wir doch vielleicht zusammen hingehen.»
Er starrt mich an. Wenn mein Herz jetzt noch schneller schlägt, falle ich in Ohnmacht. Ich versuche, total cool zu bleiben, mich ganz lässig zu verhalten, damit es so aussieht, als wäre es keine große Sache, wenn er nein sagt.
«Es hat dich keiner eingeladen?», fragt er.
Wieso fragt mich das jeder? «Nein.»
Ein Leuchten zeigt sich in seinen Augen.
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