Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
Sie?»
«Mehr oder weniger», antwortet er und sieht mich immer noch an. «Luftlinie.»
«Haben Sie Geschwister?», fragt sie.
«Nein, ich bin Einzelkind.»
«Wir sollten jetzt gehen», sage ich, denn ich spüre, dass sie versucht, mehr über meiner Vision herauszufinden, und ich habe Angst, sie könnte ihn verschrecken.
«Ihr seht großartig zusammen aus», sagt Mama. «Darf ich ein Foto machen?»
«Klar», antwortet Christian.
Sie läuft in ihr Arbeitszimmer, um ihren Fotoapparat zu holen. Christian und ich warten auf sie, ohne ein Wort miteinander zu reden. Er riecht toll, es ist diese wunderbare Mischung aus Seife und Eau de Cologne und etwas ganz Eigenes. Pheromone, schätze ich, aber es ist wohl mehr als bloße Chemie.
Ich lächle ihn an. «Danke, dass du so geduldig bist. Du weißt ja, wie Mütter sind.»
Er antwortet nicht, sieht mich nur an, und einen Moment lang frage ich mich, ob die Möglichkeit besteht, dass zwischen ihm und mir heute Abend etwas geschieht. Dann ist meine Mutter zurück; sie bittet uns, vor der Tür Aufstellung zu nehmen, und macht ein Foto von uns. Christian legt den Arm hinter mich, seine Hand berührt leicht meinen Rücken. Ein winziger Schauer durchfährt mich. Irgendetwas passiert da, wenn wir uns berühren, etwas, das ich nicht erklären kann, aber ich fühle mich dabei stark und schwach gleichzeitig und nehme wahr, wie mir das Blut durch die Adern strömt und die Luft in meine Lungen und wieder hinaus fährt. Als ob mein Körper ihn erkennt. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber irgendwie gefällt es mir.
«Ach, das hätte ich ja fast vergessen», sage ich, nachdem der Blitz verebbt ist. «Ich hab dir was zum Anstecken besorgt.»
Ich flitze in die Küche und hole die Knopflochblume aus dem Kühlschrank. «Hier», sage ich, als ich zurückkomme. Ich stelle mich vor ihn und will das kleine Angebinde – eine einzelne weiße Rose und ein bisschen Grün – an seinem Revers befestigen, und sofort pikse ich mich mit der Nadel in den Finger.
«Au», sagt er und zuckt zusammen, als hätte ich mit der Nadel in seinen statt in meinen Finger gestochen. Ich halte den Finger hoch, und ein einzelner Tropfen Blut bildet sich auf der Fingerspitze.
Christian nimmt meine Hand und inspiziert sie. Ich halte die Luft an. Daran könnte ich mich gewöhnen.
«Glaubst du, du überlebst es?», fragt er und sieht mir in die Augen, und ich muss die Augen schließen, um meinen Atem unter Kontrolle zu bringen.
«Ich denke schon. Es blutet nicht mal mehr.» Ich nehme das Taschentuch, das Mama mir hinhält, und drücke es auf den Blutstropfen auf meinem Finger, dabei gebe ich Acht, dass nichts auf mein Kleid kommt.
«Lass es mich noch mal versuchen», sage ich, und diesmal trete ich dicht an ihn heran, unser Atem mischt sich, als ich die Blume vorsichtig anstecke. Es ist das gleiche Gefühl wie damals, als wir auf dem Skihang im Schnee lagen, gerade mal einen Atemzug voneinander entfernt. Als könnte ich mich vorbeugen und ihn küssen, vor meiner Mutter, einfach so. Schnell trete ich zurück und denke, dass heute Abend alles entweder sehr gut oder sehr schlecht laufen wird.
«Danke», sagt er und betrachtet das Ergebnis meiner Arbeit. «Ich habe auch eine Ansteckblume für dich, aber die ist im Wagen.» Er dreht sich zu meiner Mutter um. «Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mrs Gardner.»
«Sagen Sie bitte Maggie zu mir.»
Er nickt höflich.
«Und seid vor Mitternacht zu Hause», fügt sie hinzu. Ich starre sie an. Das kann sie doch unmöglich meinen. Der Ball dauert doch bis Mitternacht.
«Sollen wir aufbrechen?», fragt Christian, ehe ich mir ein logisches Gegenargument einfallen lassen kann. Er streckt den Arm aus, und ich schiebe die Hand in seine Ellenbeuge.
«Wir sollen», antworte ich, und dann sehen wir zu, dass wir endlich das Haus verlassen.
Am Eingang zum Kunstmuseum in Jackson, wo der Abschlussball stattfindet, erhalten die Mädchen elegante kleine Lorbeerkränze aus Blättern, mit Silberfarbe besprüht, und die Jungs lange Schärpen aus weißem Stoff, die sie wie eine Art Toga über der Schulter tragen sollen. Da wir nun auch offiziell wie antike Gottheiten aussehen, dürfen wir die Halle betreten, wo der Ball schon in vollem Gange ist.
«Zuerst zum Fotografen?», fragt Christian. «Die Warteschlange sieht nicht allzu lang aus.»
«Klar.»
Als wir rüber zum Fotobereich gehen, setzt ein langsames Lied ein. Ich sehe, wie Jason Lovett Wendy zum Tanzen
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