Unearthly. Dunkle Flammen (German Edition)
befreundet?», fragt Christian.
«Ja.»
«Sie ist immer so ernst.»
«Du bist nicht der Erste, der mir das sagt», antworte ich und lache, weil er keine Ahnung hat, wie ernsthaft verrückt Angela sein kann. Er hat nie gehört, wie sie sich über die Fähigkeiten des Gedankenlesens der Intangere ereifert. «Ich glaube, die Leute fühlen sich von ihrer Klugheit eingeschüchtert. So wie die Leute von dir eingeschüchtert sind, von …» Ich schweige.
«Was? Du denkst, die Leute fühlen sich von mir eingeschüchtert? Wieso?»
«Na ja, du bist so … perfekt und beliebt und so gut in allem, was du tust.»
«Perfekt», meint er verächtlich, und er hat den Anstand, aufrichtig verlegen auszusehen.
«Das ist ziemlich nervig, weißt du.»
Er lacht. Dann greift er über den Tisch und nimmt meine Hand, und meine sämtlichen Nerven sind in Alarmbereitschaft.
«Glaub mir, ich bin alles andere als perfekt», sagt er.
Und von dem Moment an läuft alles richtig gut. Christian macht alles richtig. Er ist charmant, aufmerksam, einfühlsam. Ganz zu schweigen davon, dass er der Inbegriff eines heißen Typen ist. Eine Weile vergesse ich alles, was mit meiner Aufgabe zu tun hat. Ich tanze einfach. Ich lasse zu, dass diese magnetische Anziehungskraft in seiner Nähe mich ganz erfüllt, bis alles andere von mir abfällt. Es ist vielleicht der schönste Tag meines Lebens.
Bis Kay kommt. Natürlich sieht sie hinreißend aus in ihrer lavendelfarbenen Seidenrobe, die ihre Schultern umschmeichelt und ihre schmale Taille betont. Das dunkle Haar hat sie aufgesteckt, Locken fallen in Kaskaden auf ihren Nacken herab. Etwas in ihrem Haar fängt das Licht ein und funkelt. Sie hat ihren bis zum Ellbogen von einem weißen Satinhandschuh bedeckten Arm ihrem Begleiter um die Taille gelegt, als sie hereinkommt, und lacht ihn an, als amüsiere sie sich prächtig. Sie sieht nicht mal in unsere Richtung. Als das nächste Lied beginnt, zieht sie ihren Begleiter auf die Tanzfläche.
Christian umfasst mich fester. Unsere Körper berühren sich. Mein Kopf passt perfekt an seine Schulter. Ich muss einfach die Augen schließen und seinen Duft in mich aufnehmen. Und plötzlich habe ich wieder die Vision, die stärkste bisher.
Ich gehe einen unbefestigten Weg entlang durch den Wald. Christians Pick-up steht am Wegesrand. Ich rieche Rauch; mein Kopf ist schon ganz umnebelt. Ich lenke meine Schritte von dem Pfad tiefer in den Wald hinein. Sorgen mache ich mir nicht. Ich weiß genau, wo ich ihn finde. Meine Füße tragen mich dorthin, ohne dass ich sie lenken muss. Als ich ihn sehe, wie er da in seiner schwarzen Fleece-Jacke mit dem Rücken zu mir steht, die Hände in den Taschen, erfüllt mich der vertraute Kummer. Die Intensität der Traurigkeit erschwert mir das Atmen. Ich bin so verletzlich in dem Moment, dass ich in eine Million winziger Stückchen zerbrechen könnte.
«Christian», rufe ich.
Er dreht sich um. Mit einer Mischung aus Sorge und Erleichterung sieht er mich an.
«Du bist es», sagt er. Er kommt auf mich zu. Hinter ihm züngelt das Feuer über den Hügel. Es rast in unsere Richtung, aber ich habe keine Angst. Christian und ich gehen aufeinander zu, bis wir uns direkt gegenüberstehen.
«Ja, ich bin es», antworte ich. «Ich bin hier.» Ich strecke die Hand aus und nehme seine Hand, was sich selbstverständlich anfühlt, als hätte ich es mein ganzes Leben lang schon getan. Er hebt die andere Hand, will meine Wange berühren. Seine Hand ist so heiß, dass sie mich fast verbrennt, aber ich zucke nicht zurück. Einen Moment lang stehen wir einfach da, stehen still, als wäre die Zeit stehengeblieben, als käme das Feuer nicht auf uns zu. Und dann fallen wir einander in die Arme, halten uns aneinander fest, unsere Körper sind sich so nah, als wären wir eins, und wir verlieren den Boden unter unseren Füßen.
Ich bin wieder auf dem Abschlussball, hole keuchend Luft. Ich schaue in Christians geweitete grüne Augen. Wir haben aufgehört zu tanzen, stehen mitten auf der Tanzfläche und starren einander an. Mein Herz fühlt sich an, als wollte es mir aus der Brust springen. Ein Schwindelgefühl kommt in Wellen über mich, und ich schwanke, meine Knie zittern. Christians Arme stützen mich.
«Alles in Ordnung mit dir?» Schnell blickt er in die Runde, will sehen, ob die Leute uns beobachten. Das tun sie. Über seine Schulter hinweg sehe ich Kay, die mich mit unverstelltem Hass in den Augen ansieht.
«Ich muss raus an die frische Luft.»
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