Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
sonderlich wild darauf bin, Christian zu verraten, dass ich von ihm träume.
«Was sagt denn deine Mutter dazu?», fragt Angela und knabbert an einer Brotstange.
«Ich hab ihr nichts davon erzählt.»
Sie sieht mich an, als hätte ich ihr gerade gesagt, dass ich überlege, ob ich mit Heroin handeln soll.
«Wieso sollte ich ihr davon erzählen? Sie sagt mir ja auch nichts. Und selbst wenn, textet sie mich wahrscheinlich doch nur mit plattem Gewäsch zu, dass ich meinen Gefühlen vertrauen und auf mein Herz hören soll oder irgend so einem Mist. Außerdem wissen wir ja gar nicht, ob es überhaupt was zu bedeuten hat», sage ich. «Vielleicht ist es ja doch nur ein Traum. Schließlich kommt es andauernd vor, dass die Leute wieder und wieder den gleichen Traum haben.»
«Wenn du meinst», sagt sie.
«Können wir jetzt über was anderes reden?»
Das tun wir dann. Wir sprechen über den Regen, der allmählich mal nachlassen könnte, wie auch Angela sagt. Wir sprechen über die «Spirituelle Woche» in der Schule und darüber, ob es okay ist, wenn wir unsere besonderen Gaben einsetzen und das Mädchensportfest am Mittwoch gewinnen. Sie erzählt mir von einem alten Buch, das sie im Sommer in Italien entdeckt hat und das im siebzehnten Jahrhundert eine Art Engelblutdienstplan gewesen zu sein scheint.
«Da hat es eine Vereinigung von Wesen mit Engelblut gegeben», erklärt sie mir. « Congregarium celestial , buchstäblich eine Engelblutschar. Eine Herde. Daher hab ich übrigens auch die Idee, einen Engelclub zu gründen.»
«Ist sonst noch was Interessantes in Italien passiert?», frage ich sie. «Mit einem, na ja, heißen italienischen Freund, über den du mir jetzt gleich alles erzählen wirst?»
Sofort wird sie knallrot. Sie schüttelt den Kopf und ist auf einmal sehr interessiert an ihrem Salat. «Ich habe keinen Freund. Weder in Italien noch sonst wo.»
«Ah ja.»
«Es war blöd», sagt sie, «und ich will nicht drüber reden. Ich werde dich nicht über Christian aushorchen, und du sagst nichts über meinen nicht existierenden italienischen Freund, okay?»
«Du hast mich schon über Christian ausgehorcht. Also, das ist unfair», antworte ich, aber in ihrem Blick erkenne ich echten Kummer, was mich überrascht, also lasse ich das Thema fallen.
Gleich bin ich in Gedanken wieder bei meinem Traum, bei Christian, bei der Art, wie er nach mir Ausschau hält, wie er mich abpasst, wie er ständig hinter mir her ist. Vielleicht ist er ja jetzt mein Schutzengel. Einer, der darauf achtet, dass ich auf dem richtigen Weg bleibe.
Wenn ich bloß wüsste, wohin dieser Weg führt.
Wir sind auf dem Parkplatz, als mich die Traurigkeit überfällt. Wenigstens glaube ich, dass es Traurigkeit ist. Das Gefühl ist nicht so niederdrückend wie an dem Tag im Wald. Es lähmt mich nicht so wie damals. Vor wenigen Minuten ging es mir noch gut, ich habe sogar gelacht, und jetzt auf einmal, von einem Moment auf den anderen, möchte ich am liebsten weinen.
«He, alles in Ordnung mit dir?», fragt Angela, als wir zum Wagen gehen.
«Nein», flüstere ich. «Ich bin … traurig.»
Sie bleibt stehen. Ihre Augen sind auf einmal so groß wie Untertassen. Sie sieht sich um.
«Wo?», fragt sie viel zu laut. «Wo ist er?»
«Keine Ahnung», antworte ich. «Das kann ich dir nicht sagen.»
Sie packt meine Hand und zerrt mich über den Parkplatz zum Auto, dabei geht sie schnell, versucht aber, die Fassung zu wahren, so zu tun, als wäre nichts passiert. Sie fragt nicht, ob sie den Wagen fahren darf; sie setzt sich einfach auf den Fahrersitz, und ich sage nichts dagegen. «Schnall dich an», kommandiert sie, als wir beide im Auto sitzen. Dann steuert sie vom Parkplatz runter auf die Straße hinaus. «Ich weiß nicht, wohin ich fahren soll», sagt sie, und in ihrer Stimme mischen sich Schrecken und Vorfreude. «Wir sollten wohl besser irgendwo bleiben, wo viele Menschen sind; er müsste schon völlig verrückt sein, uns in Sichtweite von einem Haufen Touristen auszulöschen, weißt du, und ich will nicht zu nah an zu Hause sein.» Rasch wirft sie einen Blick in Rück- und Außenspiegel. «Ruf deine Mutter an. Sofort.»
Ich fische in meiner Tasche nach dem Handy, dann rufe ich an. Schon beim ersten Klingeln hebt Mama ab.
«Was ist los?», fragt sie sofort.
«Ich glaube … dass vielleicht … ein Schwarzflügel hier ist.»
«Wo bist du?»
«Im Auto, auf der Bundesstraße 191, wir fahren Richtung Süden.»
«Fahrt zurück zur Schule»,
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