Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
unmöglich sagen, dass er meine Hand dabei hält, dass er mir etwas zuflüstert, aber ohne die Worte richtig auszusprechen, nur eben so, dass ich es in meinem Kopf höre.
«Das ist doch bestimmt nur ein Traum, weißt du?», bringe ich heraus. «Etwas, womit ich mich im Unterbewusstsein beschäftige, vielleicht ist es ja auch die Art Traum, in dem man nackt in der Schule erscheint.»
«Wie sieht der Wald aus?», fragt er.
«Das ist das Merkwürdige daran. Es ist ein ganz normaler Wald, aber da ist diese Treppe – Betonstufen zwischen den Bäumen. Und ein Zaun.»
«Was ist mit dir, Christian? Hast du in letzter Zeit irgendwas geträumt, was bei diesem Wahnsinn hilfreich sein könnte?»
Christian reißt endlich seinen Blick von mir los und sieht Angela an.
«Nein, nichts.»
«Tja, also ich denke, es ist mehr als nur ein Traum», sagt sie. «Denn es ist noch nicht vorbei.»
«Was ist noch nicht vorbei?»
«Deine Aufgabe. Es kann einfach nicht sein, dass du das alles durchmachst, die Visionen und die Waldbrände und das Ganze, und das war es dann. Da muss noch was kommen.»
Genau in dem Moment beschließt meine Empathie, mal eben aktiv zu werden, und schlagartig empfinde ich, was Christian gerade fühlt: Entschiedenheit. Entschlusskraft. Eine alles überlagernde Sehnsucht, die mich den Atem anhalten lässt. Und Gewissheit. Reine, absolute Gewissheit. Dass Angela recht hat. Dass längst nicht alles vorbei ist. Dass da noch etwas kommen muss.
Als ich an dem Abend in mein Zimmer gehe, ist da jemand auf dem Dachvorsprung vor meinem Fenster. Im Bruchteil einer Sekunde erscheint mir der ganze Blödsinn, den meine Mutter erzählt hat, über Samjeezas Verletzungen und seine Eitelkeit und sein Warten auf den rechten Moment, uns nachjagen zu können, als genau das und nicht mehr als das, nämlich purer Blödsinn, und ich denke, dass er da ist, dass es sein Kummer war, den ich neulich gespürt habe, hab ich es doch gewusst!, und mein Herz fängt in panischer Angst wie verrückt an zu rasen, und mein Blut pumpt wie wild, und verzweifelt sehe ich mich in meinem Zimmer nach einer geeigneten Waffe um. Was ein reiner Witz ist, denn erstens habe ich keine Waffen in meinem Zimmer, sondern bloß das übliche Zeug, das ein Mädchen im Teenager-Alter nun mal so hat, und zweitens: Auch wenn ich außer einer Nagelfeile irgendwas finde, was sich als Waffe eignen könnte, was für eine Waffe würde gegen einen Schwarzflügel etwas ausrichten können? Der himmlische Glanz, denke ich, ich muss den himmlischen Glanz erscheinen lassen, aber dann denke ich: Moment mal. Wieso regt er sich denn überhaupt nicht? Wieso höre ich noch keine üblen Drohungen in der Art von «Jetzt werde ich dich töten, kleines Vögelchen»?
Da wird mir bewusst, dass es gar nicht Samjeeza ist. Es ist Christian. Und kaum habe ich mich genug beruhigt, um klar denken zu können, spüre ich seine Gegenwart so deutlich wie nur was. Er ist gekommen, weil er mir etwas erzählen will. Etwas Wichtiges.
Ich seufze, ziehe mir was über und mache das Fenster auf.
«Hallo», rufe ich nach draußen.
Er schaut von seinem Platz am Rand des Daches zu mir herüber, der idealen Stelle mit Blick auf die Berge, die trotz der Dunkelheit in schwachem, schneegepudertem Weiß leuchten. Ich klettere aus dem Fenster und setze mich neben ihn. Es ist eiskalt draußen, Regen fällt in frostigen, kümmerlichen Fäden. Sofort umklammere ich mich mit beiden Armen und gebe mir Mühe, nicht zu zittern.
«Ist dir kalt?», fragt er.
Ich nicke. «Dir nicht?» Er trägt ein schwarzes T-Shirt und seine üblichen Jeans von Seven, grau diesmal. Wie furchtbar, denke ich, dass mir seine Kleidung so vertraut ist.
Er zuckt mit den Schultern. «Ein bisschen.»
«Angela sagt, ein Engelblut sollte immun gegen Kälte sein. Das hilft offenbar, wenn man in großen Höhen fliegt.» Wieder zittere ich. «Diese Dienstanweisung hab ich wohl noch nicht verinnerlicht.»
Er lächelt. «Über die Fähigkeit verfügen vielleicht nur reife Engelblutwesen.»
«He, willst du damit etwa sagen, dass ich unreif bin?»
«Nicht doch», sagt er, und sein Lächeln wächst sich zu einem breiten Grinsen aus. «Das würde ich niemals wagen.»
«Das ist auch besser so. Schließlich bin ich ja nicht der Spanner, der bei anderen Leuten zum Fenster reinguckt.»
«Ich bin kein Spanner», protestiert er.
Klar. Es muss also doch irgendwas Wichtiges sein.
«Weißt du, da gibt es diese ulkige kleine neue Erfindung», ziehe ich
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