Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
Liebe Clara, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können –, dann versuche ich, ein Lächeln wie Wendy zustande zu bringen, obwohl mir in diesem Moment etwas ganz anderes durch den Kopf geht als Vorfreude, etwas ganz anderes als Begeisterung oder Glück, eher eine Art Mischung aus Ungläubigkeit und Furcht. Aber das ist doch etwas Gutes, sage ich mir. Ich kann nach Hause, nach Kalifornien. Ich kann tatsächlich an der Uni Stanford studieren, alles studieren, was ich möchte, und mir ein eigenes Leben aufbauen.
«Ich bin aufgenommen», flüstere ich ungläubig.
Wendy legt mir den Arm um die Schultern. «Das ist fantastisch», sagt sie. «Und glaub mir. Tucker wird sich sehr für dich freuen.»
«Das wär’s dann also», sagt Angela trocken, als ich später im Engelclub erscheine. «Du gehst nach Stanford.»
«Nicht unbedingt.» Ich stehe wieder an meinem üblichen Platz auf der Bühne im Pink Garter , übe wieder einmal, den himmlischen Glanz hervorzubringen, denn etwas anderes fällt mir nicht ein in der verträumten Benommenheit, in der ich mich seit dem Nachmittag befinde.
Angela legt den Stift aus der Hand und sieht mich mal wieder an, als wäre ich ein totaler Idiot. «Clara Gardner. Du bist von der Uni Stanford angenommen. Du hast sogar ein Stipendium. Jetzt sag nicht, du willst nicht hin.»
Das Geldthema ist ein neues rotes Tuch für sie. Denn nach ihrer Meinung bin ich die mit dem vielen Geld, meine Mutter ist stinkreich seit dem Zweiten Weltkrieg, weil sie zum Beispiel in Computer investiert hat und das zu einer Zeit, als ein einziger Computer einen kompletten Raum einnahm. Und außerdem habe ich noch ein Stipendium. Zwar kein großes und auch nur, weil meine «Großmutter» einmal in Stanford studiert hat, aber trotzdem habe ich mehr Geld, als ich brauche. Und Angela (natürlich ist sie auch aufgenommen) muss sparen und knausern und geizen und Kredite aufnehmen und Nachhilfe geben. Dabei hat auch sie ein Stipendium, denn sie ist so was wie der Überflieger, allerdings kein Vollstipendium.
Ich sollte ein schlechtes Gewissen haben wegen meiner Unentschlossenheit, habe ich aber nicht. In meinem Kopf macht sich schon jetzt ein dichtes Geflecht widerstreitender Gefühle breit, da ist für ein schlechtes Gewissen einfach kein Platz mehr. Worüber ich nachgrübele, was mir seit dem Ausflug zum Postamt durch den Kopf geht, als ich den Stanford-Stempel auf dem Umschlag sah, ist die Überlegung, dass mich ja niemand zwingt, auf die Uni zu gehen. Ich habe einen anderen Plan gefasst. Einen neuen, einen besseren Plan. Einen großartigen Plan.
«Vielleicht gehe ich dieses Jahr gar nicht auf die Uni», sage ich so lässig wie möglich. «Eventuell gönne ich mir eine Auszeit von ein oder zwei Jahren.»
«Und was willst du dann machen?», ereifert sie sich.
«Ich bleibe einfach hier. Dann bin ich wenigstens in der Nähe, wenn Jeffrey mit der Highschool fertig wird. Ich suche mir einen Job.»
«Und was für einen? Willst du vielleicht in einem Souvenirladen arbeiten? Draußen auf der Straße Karamellbonbons verkaufen? Kellnern?»
«Klar, warum nicht?»
«Du bist ein Engelblut, darum nicht. Es wird von dir erwartet, dass du etwas Besonderes mit deinem Leben anfängst.»
Ich zucke mit den Schultern. Es gibt noch mehr Engelblutwesen in Jackson, und die haben alle ganz normale Jobs. Mir gefällt der Plan. Es fühlt sich einfach richtig an. Ich kann hier in Jackson bleiben. Ich kann aufpassen, dass mit Jeffrey alles gutgeht. Es ist ein vernünftiger Plan, ich muss mein Zuhause und meine Familie nicht verlassen (jedenfalls das, was von meiner Familie übrig bleibt, wenn Mama gegangen ist), und ich kann mir ein schönes, normales Leben aufbauen.
Angela schüttelt den Kopf, ihre goldfarbenen Augen verengen sich. «Das hat doch mit Tucker zu tun.»
«Nein.» Ich funkele sie wütend an. Dabei muss ich zugeben, dass ich auch daran gedacht habe.
«Um Himmels willen, du schießt Stanford in den Wind, damit du bei Tucker bleiben kannst», sagt Angela verächtlich.
«Komm mal wieder runter, Angela», sagt Christian auf einmal. Er sitzt an seinem üblichen Platz an einem der hinteren Tische und macht seine Hausaufgaben, während Angela und ich uns unterhalten. «Das ist Claras Leben. Und sie kann damit tun und lassen, was sie will.»
«Ja, da hörst du es.» Ich schenke Christian ein dankbares Lächeln. «Außerdem», sage ich zu Angela, «willst du doch bloß, dass ich nach Stanford gehe, damit du nicht allein da
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