Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
eingeprägt habe. Ich denke nicht. Ich lasse zu, dass ich ihn einfach nur ansehe. Dann steigt die Hitze unserer aneinandergelegten Hände in meinen Körper, füllt meinen Brustkorb aus, als ich mich in seinen Augen verliere.
Ich fühle, was er fühlt. Gewissheit, so viel Gewissheit, wie immer bei Christian, egal, was er über das Ungewisse gesagt hat. Er weiß, wer er ist. Er weiß, was er will. Ich betrachte mich aus seiner Perspektive, sehe meine Schönheit mit seinen Augen, mein Haar wie einen verschlungenen goldenen Heiligenschein um mein Gesicht, den Kontrast von blasser Haut und rosafarbenen Lippen, die so auffälligen Wangen, die unruhigen leuchtenden Augen, die im Moment ein tiefer Tümpel aus Blau zu sein scheinen, in dem man versinken könnte. Es ist, als würde er innerlich lachen, so zufrieden ist er mit sich selbst, weil ich leuchte, das Licht in mir nach außen dringt, wir zusammen leuchten. Das Licht bricht an der Stelle hervor, an der unsere Hände sich berühren, sein Haar glänzt inzwischen auch, ein Leuchten erstrahlt um uns.
Er will mir etwas sagen. Er will sich vollständig öffnen, mich alles sehen lassen, mich alles über ihn wissen lassen, zum Teufel mit den Regeln … Auf einmal gehen wir auf dem Friedhof nebeneinander, die Sonne wärmt uns den Rücken, und er hält meine Hand, führt mich. Ich fühle mich so stark in diesem Augenblick, stark und lebendig und voller Energie.
«Heilige Maria, Mutter Gottes!», kreischt eine Stimme.
Christian und ich machen einen Satz nach hinten, weg voneinander. Das Licht um uns löst sich auf. Einen Moment lang bin ich geblendet in dem plötzlichen Übergang von Licht zu Dunkel, aber als sich meine Augen daran gewöhnt haben, sehe ich Angelas Mutter im Mittelgang stehen und uns anstarren. Sie führt eine Hand zum Mund, ihr Gesicht ist aschfahl. Angela springt auf und geht zu ihr, und sie kann ihre Mutter gerade noch rechtzeitig auffangen, als sie auf die Knie sinkt.
«Ist schon gut, Mama», sagt Angela und zieht sie wieder auf die Füße. «Die haben bloß was ausprobiert.»
«So was will ich hier nicht haben», flüstert Anna, und der Blick aus ihren dunklen Augen bohrt sich mit einer solchen Intensität in mich, dass ich sie nicht ansehen kann. «So was will ich hier nicht haben, das hab ich dir doch gesagt.»
«Es ist nichts Schlimmes. Ehrenwort. Du gehst jetzt einfach rauf und legst dich hin, ja?», sagt Angela.
Anna nickt, und Angela legt ihr einen Arm um die Schultern und zieht sie aus dem Theatersaal. Wir horchen auf ihre Schritte auf der Treppe, die zu ihrer Wohnung führt, wobei Anna fortwährend redet und Angela versucht, sie zu beruhigen. Das Knirschen der Tür. Dann Ruhe.
Christian und ich sehen uns in die Augen, wenden dann den Blick ab.
«Tja, es hat geklappt», sage ich, einfach, um irgendetwas zu sagen. «Wir haben es geschafft.»
«Ja, stimmt», sagt Christian. Er reibt sich über die Stirn, auf der ein leichter Schweißfilm steht.
«Du wolltest mir was erzählen», sage ich.
Er runzelt die Stirn. «Also wer liest jetzt die Gedanken von wem?»
«Das war reines Einfühlungsvermögen. Ich habe gefühlt, was du gefühlt hast. Du wolltest mir was erzählen.»
Aus irgendeinem Grund bringt ihn das total aus der Fassung. Er springt von der Bühne, geht zu dem Tisch, auf dem seine Hausaufgaben liegen, und sammelt alles zusammen. Ich gehe ihm hinterher und lege ihm die Hand auf die Schulter. Er verspannt sich. Ich habe den Eindruck, ich müsste mich für irgendwas entschuldigen, dass ich seine Gedanken erfühlt habe oder dass ich es erwähnt habe, obwohl Angela in der Nähe ist und es hören könnte.
«Christian, ich …»
Angela kommt zu uns, man sieht ihr an, wie aufgeregt sie ist.
«Heilige Scheiße, war das toll! Ich fasse es nicht, wie hell das war, ich meine, boah. Habt ihr meine Mutter gesehen? Die ist … einfach zusammengeklappt. Ihr Gesicht war leichenblass. So hab ich sie noch nie gesehen. Aber jetzt geht es ihr wieder gut. Ich hab ihr ein Glas Wasser geholt, und sie scheint drüber weg. Alles okay mit ihr.»
«Der himmlische Glanz erschreckt die Menschen», rufe ich ihr ins Gedächtnis und gebe mir Mühe, ernst zu bleiben, aber es ist schwer, von ihrer Begeisterung nicht mitgerissen zu werden. Es war wirklich toll. Und es ist, als sei der Zauber noch in der Luft, schwebe mit den Staubkörnchen herum und werde von den Samtvorhängen aufgesogen. Ich will ihn nicht gehen lassen.
«Das war nicht zu übersehen, was?
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