Unearthly. Heiliges Feuer (German Edition)
bist und dich ohne Hilfe deiner Aufgabe stellen musst.»
Sie senkt den Blick und streicht die Tischdecke glatt, als wollte sie sich kurz ausruhen, ehe sie aufspringt, um mir eine zu verpassen. Ich wappne mich schon mal dagegen.
«Okay, da ist was dran», gibt sie schließlich zu, was mich überrascht. «Du bist meine beste Freundin, Clara, und du hast recht. Ich will nicht allein nach Stanford gehen.»
«Aber Ange, du schaffst das. Du bist das klügste, gebildetste, fähigste Engelblut, das die Welt in den letzten tausend Jahren gesehen hat. Wenn einer beim Erfüllen seiner Aufgabe die volle Punktzahl erzielt, dann doch wohl du.»
«Ich weiß», sagt sie und lächelt zufrieden. «Das ist es auch nicht. Es ist …» Sie zögert, sieht mich mit ernsten Katzenaugen an. «Ich weiß, dass du nach Stanford gehst, C. Denn ich hab dich da gesehen.»
«Was?»
«Ja, in meiner Vision. Ich hab dich gesehen.»
Die nächste Viertelstunde verbringe ich auf der Bühne, versuche, mich auf den himmlischen Glanz zu konzentrieren, versuche, mich zu beruhigen, aber ich muss immer wieder daran denken, wie unfair es ist, dass mir die Entscheidung über meine Zukunft immer wieder aus der Hand genommen wird. Erst von meinen eigenen und jetzt von Angelas Visionen.
«Na schön, jetzt reicht es», sagt Christian (wieder ganz unvermittelt, denn im Engelclub schweigt er lieber) und klappt geräuschvoll sein Schulbuch zu. Ich öffne die Augen.
«Hä?»
«Ich kann nicht länger mit ansehen, wie du so tust, als würdest du meditieren.» Schwungvoll eilt er die Stufen zur Bühne herauf und kommt zu mir. «Ich helfe dir, ja?»
Mein Herz schlägt schneller. «Was denn, weißt du etwa, wie man den Glanz hervorruft?»
«Siehst du, genau das ist dein Fehler. Du denkst, man kann den Glanz irgendwie herbeirufen, als ob er irgendwo da unterwegs ist …», er deutet in den leeren schwarzen Raum, der uns umgibt, «… dabei ist er hier drin.» Er legt sich eine Hand auf die Brust, holt tief Luft. «Er ist in dir, Clara. Er ist ein Teil von dir, und er wird ganz selbstverständlich erscheinen, wenn du endlich aufhörst, dir selbst im Weg zu stehen.»
Ich bin verlegen, aber auch total fasziniert. «Du kannst das?»
Er zuckt mit den Schultern. «Ich hab geübt.»
Er streckt die Hand aus. Ich starre sie an, seine auffordernd ausgestreckten Finger, und sofort bin ich wieder zurück in meiner Vision, in dem Moment, als wir uns unter den Bäumen an den Händen halten und das Feuer den Berg herunterdonnert. Dann erinnere ich mich an meinen Traum, wo die Berührung seiner Hand mich zu mir selbst zurückbringt, als ich schon denke, ich werde gleich auf einer Welle des Elends davonschweben. Ich lege meine Hand in seine.
Hitze durchzuckt mich. Er hält meine Hand, darauf bedacht, sie nicht loszulassen, und trotzdem sanft; er drückt sie nicht, streicht mir nicht mit dem Daumen über die Knöchel, wie er es in meiner Waldbrandvision getan hat, diese Geste, die mich fast wahnsinnig gemacht hat, als ich darüber nachdachte, was sie bedeuten könnte.
«Woran denkst du?», fragt er.
Das Blut steigt mir ins Gesicht. «Was?»
«Wenn du dich auf den Glanz konzentrierst, woran denkst du dann?»
«Ach. Na ja …» Meistens denke ich an Tucker, daran, wie sehr ich ihn liebe, was tatsächlich nur dieses eine Mal im Wald funktioniert hat, aber damals, als es drauf ankam, hat es immerhin funktioniert. «Ich … ich denke an Momente, in denen ich glücklich war.»
«Okay, das kannst du vergessen.» Er nimmt meine andere Hand, dreht mich herum, sodass wir uns mitten auf der Bühne gegenüberstehen, die Handflächen aneinandergelegt. Ich sehe, wie sich Angela vorbeugt, um uns zu beobachten, das Kinn in die eine Hand gestützt, die andere bereit, etwas in ihr Notizbuch zu schreiben.
«Sieh sie nicht an», sagt Christian. «Denk nicht an sie, auch nicht an die Vergangenheit, an gar nichts.»
«Na gut …»
«Sei einfach nur da», sagt er sanft. Seine Augen sind sensationell unter der Bühnenbeleuchtung, funkelnde bernsteinfarbene Punkte. «Sei einfach in der Gegenwart.»
Lass alles andere los , drängt er in meinem Kopf. Sei einfach nur da. Mit mir.
Ich starre ihn an, lasse zu, dass ich mich so sehr auf sein Gesicht konzentriere, wie ich es normalerweise vermeide, mustere den Verlauf seiner Wangenknochen, die Umrisse seines Mundes, den Schwung seiner dunklen Wimpern und den Bogen seiner Augenbrauen, die Form seiner Schultern, die ich mir vor so langer Zeit
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