Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
Kind, glaube ich. Ich dachte immer, er hätte es nicht drauf, Kinder zu zeugen, aber es heißt, er ist der Vater. Und sie hier macht immer Ärger. Asael schickt sie uns jedes Mal, wenn sie sein Missfallen erregt, und das passiert oft.»
Plötzlich holt Angela Luft, ein ersticktes Wimmern entfährt ihr, ihre Nackenmuskeln treten als dicke Stränge hervor und behindern Desmonds Arbeit. Ohne mit der Wimper zu zucken, tritt er zurück und schlägt sie, fest, mitten ins Gesicht. Ich muss mir auf die Lippen beißen, damit ich nicht aufschreie. Sie sackt auf dem Stuhl zusammen, schließt die Augen. Graue Tränen laufen ihr die Wangen herab, als er die Worte an ihrem Hals vollendet.
Samjeeza wendet sich an Kokabel. «Ich würde das Motiv für das Mädchen gern aussuchen», sagt er. «Ich darf doch mal einen Blick in dein Buch werfen, ja?»
«Ja. Hier lang», erwidert Kokabel. «Ich komme das Mädchen gleich holen», sagt er zu Desmond, bevor er hinaus in den Flur geht. Samjeeza bleibt noch einen Moment, streckt die Hand aus, um Desmond etwas zuzustecken, ein Plastiktütchen, dann folgt er Kokabel, um sich mit ihm über meine Tätowierung zu beraten.
Ein hübscher Schmetterling auf meiner Hüfte wird es wohl nicht werden.
Desmond steckt sich das Tütchen in die Tasche und tätschelt sie, als wäre sie ein Haustier oder etwas in der Art. Dann rutscht er mit seinem Hocker zu meinem Platz herüber. Ich zwinge mich dazu, meinen Blick gesenkt zu halten, als er mein Kinn in die Hand nimmt und meinen Kopf von einer Seite zur anderen dreht.
«Wunderbare Haut», sagt er, und sein Atem riecht sauer nach Zigaretten und Gin. «Ich kann es kaum erwarten, an dir zu arbeiten.»
Christians Körper spannt sich nervös an wie eine Bogensehne.
Tu es nicht , gebe ich ihm mit einem Blick zu verstehen, denn hier drin traue ich mich nicht, in Gedanken zu sprechen.
Desmond steht auf, zieht sich die Handschuhe aus, wirft sie auf eine Ablage in der Ecke, streckt sich, wischt sich wieder die Nase.
«Ich brauche eine Erfrischung», sagt er und schnalzt in einer Art nervösem Rhythmus mit den Fingern. Er schnieft und sucht in seiner Tasche nach dem Tütchen, das Samjeeza ihm gegeben hat. Dann geht er hinaus und macht die Tür hinter sich zu.
Ihr habt vielleicht fünf Minuten für eure Flucht , dringt Samjeezas geisterhafte Stimme in meinen Kopf, kaum dass wir mit Angela allein sind. Geht zurück zum Bahnhof und nehmt den Zug Richtung Norden, der kommt bald. Beeilt euch. In ein paar Minuten wird die gesamte Hölle über euch hereinbrechen, und ich werde dabei sein. Und denkt an das, was ich euch gesagt habe. Sprecht mit niemandem. Geht einfach. Jetzt.
Christian und ich eilen an Angelas Seite.
«Ange, Ange, steh auf!»
Sie macht die Augen auf, die dunklen Tränenspuren noch deutlich auf ihren Wangen. Sie runzelt die Stirn, als sie mich sieht, als wolle ihr gerade im Moment mein Name nicht einfallen.
«Clara», helfe ich aus. «Ich bin Clara. Du bist Angela. Das ist Christian. Wir müssen gehen.»
«Ach, Clara», sagt sie müde. «Du warst immer so hübsch.» Geistesabwesend reibt sie sich über den Arm, wo das Wort neidisch steht. «Ich werde bestraft, weißt du.»
«Jetzt nicht mehr. Komm, wir gehen jetzt.»
Ich ziehe sie am Arm, aber sie wehrt sich. Sie flüstert: «Ich habe sie verloren.»
«Ange, bitte …»
«Phen liebt mich nicht. Meine Mutter hat mich geliebt, aber jetzt ist auch sie verloren.»
«Aber Web liebt dich», sagt Christian, der neben mir steht.
Mit gequältem Blick schaut sie zu ihm auf. «Ich habe ihn zurückgelassen, damit ihr zwei ihn findet. Habt ihr ihn gefunden?»
«Ja», antwortet er. «Wir haben ihn gefunden. Er ist in Sicherheit.»
«Jetzt hat er es besser», sagt sie. Ihre Finger gleiten nach oben, und sie kratzt an dem frischen Wort am Hals. Schlechte Mutter.
Ich packe ihre Hand. Ihr Hass auf sich selbst dringt in mich. Ich spüre den beißenden Geschmack von Galle tief in meiner Kehle. Keiner liebt sie. Sie kann nie mehr zurück.
Doch, das kannst du , flüstere ich in ihren Gedanken. Komm mit uns. Aber ich weiß nicht, ob sie mich hört. Sie hat nicht gelernt, Botschaften zu empfangen.
«Wozu denn? Es ist aus. Alles vernichtet», sagt sie. «Verloren.»
In dem Moment weiß ich, dass ihre Seele verletzt ist. Aus dieser Trance, in der sie sich befindet, wird sie nie mehr aufwachen, nicht einfach so. Sie wird nicht bereit sein, uns zu begleiten.
Wir sind ganz umsonst hergekommen.
Niemand liebt mich
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