Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
was ich sage, weil er es nicht schnell genug verarbeiten kann. «Dich zu trainieren?», fragt er. «Wofür denn?»
Mir wird bewusst, dass wir in der Öffentlichkeit sitzen und über all diese Dinge nicht so für jeden hörbar reden sollten. Ich gehe dazu über, in seinem Kopf zu sprechen. Damit ich lerne, mit einem Schwert umzugehen.
Er reißt die Augen auf. Ich schaue weg, nehme den letzten Schluck von meinem kalten Kaffee. Die volle Wucht meines letzten Satzes – dass man nämlich auch von mir erwartet, ein Schwert zu benutzen, zu kämpfen, ja, vielleicht sogar jemanden zu töten – wird mir erst jetzt so richtig klar.
Jetzt wird mein Leben apokalyptisch, denke ich.
Was richtig Mist ist, um ehrlich zu sein. Ich denke wieder daran, wie gut es sich angefühlt hat, als ich damals in der Nacht Amy helfen und meine Kraft einsetzen konnte, um ihren Knöchel wieder zu richten, auch wenn es keine besonders große Sache war. Wie glücklich ich bei dem Gedanken war, dass ich meine Kraft einsetzen könnte, um Wunden zu heilen und Unrecht wiedergutzumachen. Jetzt kommt mir das nur noch wie ein albernes Hirngespinst vor. Ich werde kämpfen müssen. Möglicherweise auch sterben.
Du hattest recht , sage ich düster. Es wird uns nie erlaubt sein, ein normales Leben zu führen.
Tut mir leid , sagt Christian. Er wünscht sich etwas Besseres, etwas Leichteres für mich.
Ich zucke mit den Achseln. So soll es nun mal sein, oder? Vielleicht ist das ja unsere Aufgabe: Kämpfer zu werden. Das ergibt doch tatsächlich Sinn, wenn du mal darüber nachdenkst. Vielleicht ist das ja der Daseinszweck der Triplare. Wir sind so etwas wie Krieger.
Vielleicht , sagt Christian, obwohl ich spüre, dass er das genauso wenig akzeptieren will wie ich.
Übrigens: Ich hab meinen Vater gefragt, ob du mit uns trainieren könntest, da du dich in deiner Vision auch schwertschwingend gesehen hast – es ist übrigens kein flammendes Schwert, sondern ein Schwert aus himmlischem Glanz –, und er hat zugestimmt; wahrscheinlich dann in den Weihnachtsferien. Nur zu deiner Info.
Er lacht ungläubig bei der Vorstellung, dass er Trainingsstunden beim Erzengel Michael bekommen wird. «Wow», sagt er laut. «Das ist … danke.»
«Immerhin können wir das zusammen machen», erwidere ich, strecke den Arm über den Tisch aus und lege meine Hand auf seine, was die üblichen Funken zwischen uns sprühen lässt.
Wir gehören zusammen. Die Worte kommen mir sofort in den Sinn, und statt gegen die Vorstellung anzukämpfen oder mich besorgt zu fragen, was das wohl zu bedeuten hat, akzeptiere ich es. Was immer unser Schicksal sein mag, wir stecken eindeutig gemeinsam in dieser Sache. Durch dick und dünn.
Auf Teufel komm raus , fügt er in meinem Kopf hinzu.
Ich lächle. Den lassen wir aber lieber drin, ja? Auf den Teufel habe ich keine Lust.
Einverstanden. Er verschränkt seine Finger mit meinen, so sitzen wir Hand in Hand da. Ich bekomme ein nervöses, zittriges Gefühl in der Magengrube. «Inzwischen», sage ich, um aufs Thema zurückzukommen, weil ich mich daran erinnere, was mein Vater über Angela gesagt hat, dass ich nämlich auf sie aufpassen soll, «lass uns überlegen, was mit Angela los sein könnte. Vielleicht können wir ihr ja helfen.»
«Wer weiß, ob sie uns das erlaubt.»
«Wie wahr.» Ich schaue auf die Uhr. «Ich sollte jetzt gehen. Ich muss bis Dienstag eine Seminararbeit über Das wüste Land von T. S. Eliot schreiben. Die wird zwanzig Prozent von meiner Note ausmachen, also alles ganz easy.»
Er drückt meine Hand, ehe er sie wieder loslässt. «Danke für den Nachmittag heute. Ich weiß ja, du bist sehr beschäftigt.»
«Also, Christian, ganz ehrlich, es gibt keinen, mit dem ich lieber meine nicht vorhandene Zeit verbringe als mit dir», sage ich, und das stimmt wirklich. Was auch immer wir sind – Seelengefährten, Freunde –, das wird immer so sein.
Erst später fällt mir auf, dass ich ihm nichts von der Begegnung mit Tucker erzählt habe. Aber dann denke ich, dass er davon bestimmt auch nichts wissen will.
Auf dem Weg zurück zum Wohnheim mache ich einen Umweg über die Memorial Church, weil die entfernte Möglichkeit besteht, dass Angela da ist. Die Kirche ist leer. Durch den Mittelgang gehe ich auf den Altarraum zu, und da vor dem Altar liegt immer noch das Labyrinth aus. Auf einem Schild steht: Bitte Ruhe beim Besichtigen der Kirche . Von draußen höre ich das Geräusch eines Rasentrimmers, trotzdem ist es drinnen
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