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Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)

Titel: Unearthly. Himmelsbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Hand
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immer noch ruhig; es herrscht eine Stille, die den Lärm übertönt.
    Angela ist offensichtlich nicht hier, aber ich gehe nicht sofort wieder. Ich stehe da und betrachte die verschlungenen Pfade des Labyrinths.
    Ach, was soll’s, denke ich mir. Ich versuche es einfach mal.
    Es dauert einen Moment, bis ich die Informationsbroschüre über das Labyrinth gelesen habe, die ich in einem kleinen geflochtenen Körbchen in der ersten Bankreihe finde. Lässt das Leben Sie ziellos im Kreis herumwandern? , heißt es da. Begeben Sie sich auf eine persönliche Reise, die sich seit Tausenden von Jahren bewährt hat. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen und stelle mich auf den Ausgangspunkt, dann mache ich die ersten Schritte. Der Hosensaum meiner Jeans schleift über das Material auf dem Boden. Ich konzentriere mich darauf, langsamer zu gehen und tief Luft zu holen, so wie ich es in meinem Glückskurs gelernt habe: reinigende Atemzüge tief aus dem Bauch heraus. Wenn Sie das Labyrinth betreten , heißt es in der Broschüre, lassen Sie die Einzelheiten Ihres Lebens los; schieben Sie Gedanken und Ablenkungen beiseite. Öffnen Sie Ihr Herz und werden Sie ganz ruhig im Kopf.
    Ich tue mein Bestes, aber innerlich bin ich irgendwie doch angespannt, wappne mich gegen die Vision, die Schwärze des Raums, die Angst, die ich empfinde. Ich gehe weiter, versuche, im Kopf ganz ruhig zu werden, wie ich es immer tue, wenn ich den Glanz erscheinen lassen möchte, der neuerdings so mühelos kommt. Man sollte meinen, auch das hier wäre ganz einfach, doch aus irgendeinem Grund, vielleicht weil die Vision zu erleben beinahe so ist, als würde man ins Gesicht geschlagen, ist es nicht das Gleiche.
    Ich gelange zur Mitte des Musters. Hier soll ich stehen bleiben und beten. Empfangen , heißt es in der Broschüre.
    Ich senke den Kopf. Ich habe nie gelernt, wie man mit Gott redet. Diese Vorstellung kommt mir genauso utopisch vor wie ein Telefonat mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika oder ein Gespräch mit dem Dalai-Lama. Was einigermaßen ironisch ist, ich weiß schon. In meinen Adern fließt Engelblut, die Macht und die Stärke des Allmächtigen wirkt in meinen Zellen, Gottes Absicht für mich, sein Plan. Wann immer ich den Glanz herbeirufe, spüre ich diese Macht, diese Verbindung mit allem, von der mein Vater gesprochen hat, die Wärme und die Freude und die Schönheit, die, wie ich weiß, dort sein muss, wo Gott ist. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich diese Gegenwart in Worte fassen soll. Ich kann es einfach nicht.
    Ich schaue auf, und überall um mich herum sind Engel, und ich spüre ihre Blicke auf mir ruhen, feierlich und fragend. Was machst du? , fragen sie. Was ist deine Aufgabe?
    «Was ist meine Aufgabe?», entgegne ich flüsternd. «Zeigt es mir.»
    Aber die Vision stellt sich nicht ein.
    Ich warte fünf Minuten, die sich deutlich länger anfühlen, dann seufze ich und gehe den gleichen Weg über das Muster zurück, den ich gekommen bin, schneller diesmal. Zu diesem Zeitpunkt, so heißt es in der Broschüre, soll ich in die dritte Phase eintreten: Kehren Sie zurück. Treten Sie in Verbindung mit einer höheren Macht, vereinigen Sie sich mit den heilenden Kräften, die in dieser Welt wirken.
    Ich ziehe mir die Schuhe an und fühle mich plötzlich erschöpft und reizbar und enttäuscht, weil ich es nicht geschafft habe, diese Verbindung herzustellen. Ich sollte lieber zurückgehen und mich ein Weilchen hinlegen, denke ich. Die Seminararbeit kann warten. So viel zur Suche nach Angela. So viel zur Erklärung meiner Vision.
    So viel zur Klärung.

    Die Vision überfällt mich, als ich mit dem Rad Richtung Wohnheim fahre. Es ist bewölkt und kühl – bei weitem nicht so kalt wie in Wyoming, aber immer noch kalt genug, dass ich gemütlich unter der Bettdecke warm werden will. Also radele ich ziemlich schnell, rase sogar, als ich mich plötzlich in dem dunklen Raum befinde.
    Diesmal ist die Vision weiter fortgeschritten als jemals vorher. Der Lärm, das hohe Geräusch, das um uns herum hallt, klingt mir immer noch in den Ohren. Es verrät uns, wird mir klar. Es lenkt ihre Aufmerksamkeit auf uns.
    Ein Aufblitzen von Licht, es blendet so sehr wie eh und je.
    «Runter!», brüllt Christian, und ich werfe mich auf den Boden, rolle aus dem Weg, während er schwertschwingend hinter mir vortritt, er schwingt das Schwert mit der leuchtenden, hellen, wunderschönen Klinge, hebt es hoch über seinen Kopf und lässt es gewaltig niedersausen.

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