Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
beschützen.
Aber dann entgleitet ihm die Kontrolle über seine menschliche Gestalt, und in einem kurzen Aufblitzen erblicke ich seine graue Seele. Wild schaut er um sich, als sei es nicht sicher, in der Öffentlichkeit mit ihr zusammen gesehen zu werden. Sein Blick streift mich in einem kurzen Moment des Erkennens. Ich müsste gar nicht empathisch veranlagt sein, um die nackte Angst zu sehen, die in seinen Augen steht, reine, unverfälschte Angst. Er ist zu Tode erschrocken.
«Bitte, Phen, sag was», drängt Angela.
Er sieht ihr in die Augen. «Das hättest du mir nicht erzählen dürfen», murmelt er ohne eine Gefühlsregung. «Ich dürfte gar nicht hier sein.»
«Phen», sagt sie voller Angst, und ihre Finger krallen sich in seine Anzugjacke. «Ich weiß, es ist ein ziemlicher Schock. Für mich war es auch ein Schock, das kannst du mir glauben. Aber es sollte geschehen, verstehst du das nicht? Dies ist meine Vision, meine Aufgabe. Diesen einen Moment sehe ich, seit ich acht Jahre alt bin. Du bist es, Phen. Es ist uns gestattet, zusammen zu sein. Es ist uns bestimmt , zusammen zu sein.»
«Nein», entgegnet er. «Das ist es nicht.»
«Aber ich liebe dich.» Bei dem Wort liebe klingt ihre Stimme brüchig. «Mein Herz gehört dir, seit ich dich das erste Mal in dieser Kirche gesehen habe. Und du liebst mich auch. Das weiß ich.»
«Ich kann dich nicht lieben», erklärt er bestimmt, und sie zuckt zusammen. «Ich kann dich nicht beschützen, Angela. Du hättest es mir nicht erzählen dürfen. Erzähl es niemandem.»
«Phen», fleht sie. Sie greift in die Tasche und zieht das Ultraschallbild heraus, als könne ein Foto des Babys ihn veranlassen, seine Meinung zu ändern, aber er umfasst ihre Hand mit seiner und schließt ihre Finger um das Papier, ehe sie es auseinanderfalten kann. Er schaut ihr in die Augen, hebt die andere Hand an ihr Gesicht, seine Finger streifen über ihre Wange, und für den Bruchteil einer Sekunde sieht es so aus, als sei er unentschlossen.
Dann verschwindet er. Kein Auf Wiedersehen . Kein Tut mir leid, aber du bist auf dich allein gestellt, Süße . Er ist einfach weg.
Ich laufe die Treppe hoch, als Angela auf die Knie sinkt.
«Ist ja gut», sage ich wieder und immer wieder, als ob es wahr würde, wenn ich es sage.
Mit Augen voller ungeweinter Tränen sieht sie mich an. Ihre Hände zittern, als ich ihr aufhelfe, aber sie lässt nicht zu, dass ich sie stütze. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass andere Studenten uns beobachten, also hebt sie den Kopf und macht sich auf ihre unbeholfene Art und Weise auf den Rückweg. Ich versuche, meinen Arm um sie zu legen, ihr etwas von dem Gewicht zu nehmen, das auf ihr lastet, aber sie schüttelt mich ab.
«Mir geht es gut», sagt sie da, mit monotoner Stimme. «Komm, wir wollen gehen.»
In ihrem Zimmer im Wohnheim läuft sie herum wie ein Zombie, zieht ihre Sachen aus und wirft sie auf den Boden, bis sie nur noch die Unterhose und das Hängerchen trägt.
Amy kommt mit einem Stapel Bücher beladen herein. Ich packe sie am Arm und drehe sie herum, dränge sie auf den Flur zurück. «Du solltest später wiederkommen», sage ich zu ihr.
«Aber ich muss …»
«Morgen zum Beispiel. Raus.»
Amy sieht fürchterlich gekränkt aus. Ich schließe die Tür und drehe mich zu Angela um.
Plötzlich lacht sie, als ob das alles furchtbar komisch wäre, als hätte Phen ihr irgendeinen lustigen Streich gespielt. Sie streicht sich das Haar aus dem Gesicht, lächelt das schrecklichste, todunglücklichste Lächeln, das man sich vorstellen kann. «Tja, das ist dann ja wohl nicht so gelaufen, wie ich es gedacht habe.»
«Ach, Ange.»
«Wir wollen nicht weiter darüber reden. Mir geht es gut.»
Sie legt sich ins Bett und zieht sich die Bettdecke bis ans Kinn. Draußen zwitschern die Vögel, die Sonne scheint noch, doch in ihr fühle ich alles dunkel werden. Ich setze mich zur ihr auf den Bettrand. Ich sage nichts, weil sich alles, was mir dazu einfällt, völlig blöd anhört.
«Von Anfang an waren wir uns einig, dass wir nicht über Liebe reden würden.» Sie dreht sich um, kehrt mir den Rücken zu, liegt da mit dem Gesicht zur Wand. «Das hätte ich nicht vergessen sollen», fügt sie hinzu, mit ganz dünner Stimme, und bemüht sich mit aller Kraft, so zu tun, als würde es sie nicht umbringen. «Ist schon in Ordnung. Das ist in Ordnung für mich. Ich verstehe das.»
Ich glaube, wenn sie noch einmal in Ordnung sagt, platzt mein Kopf. Ich starre auf
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