Unearthly. Himmelsbrand (German Edition)
überspann den Bogen mal lieber nicht.»
Sie greift in ihre Tasche und zieht ein zerknittertes Stück Papier hervor, streicht es glatt und reicht es mir. Es ist ein Ultraschallfoto.
«Du warst beim Arzt?», frage ich. «Ich wäre doch mitgekommen, hättest du was gesagt.»
Sie zuckt mit den Schultern. «Ich war schon ein paarmal beim Arzt. Ich wollte sichergehen, dass wirklich alles in Ordnung ist mit dem Baby.» Sie verbessert sich. «Mit ihm. Es ist ein Junge.»
Ich starre auf das Bild, irgendwie verblüfft darüber, dass da tatsächlich ein winziger Mensch in meiner Freundin heranwächst. Das Foto ist grobkörnig, aber ich kann deutlich ein Profil erkennen, eine winzige Nase und ein Kinn, die Knochen, die zum Arm des Babys gehören. «Sind die sicher? Dass es ein Junge ist?»
«Ziemlich sicher», antwortet sie lächelnd. «Ich denke, ich werde ihn Webster nennen.»
«Webster, wie das Wörterbuch? Mhm, das gefällt mir.» Ich gebe ihr das Bild zurück.
Sie betrachtet es eine ganze Weile. «Er hatte am Daumen gelutscht.» Sie faltet das Bild wieder zusammen und steckt es zurück in die Hosentasche. Der Wäschetrockner ist fertig und piepst, und sie zieht die Sachen nacheinander heraus und legt sie in den Korb.
«Ich trage ihn», biete ich an, und sie schiebt den Korb zu mir rüber.
Als wir in ihrem Zimmer sind und die Wäsche zusammenlegen, sagt sie plötzlich: «Ich weiß überhaupt nicht, wie das geht, Mutter sein. Ich bin nicht sonderlich … mütterlich.»
Ich falte ein T-Shirt zusammen und lege es auf ihr Bett. «Na ja, ich glaube, dass keine Mutter so richtig weiß, wie das mit dem Muttersein geht, bis sie dann Mutter ist.»
«Er wird etwas so Besonderes sein», sagt sie sanft.
«Ich weiß.»
«Phen wird wissen, was zu tun ist», sagt sie wie ein Mantra, das sie sich immer wieder vorsagt. «Er wird wissen, wie man ihn beschützt.»
«Das weiß er sicher», sage ich, um sie zu beruhigen, aber ich habe so meine Zweifel, was Phen angeht. Ich habe sein Inneres gesehen, und väterlich ist nun ganz sicher nicht das Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an ihn denke.
Ich klopfe an Christians Tür. Er ist ganz verschwitzt, als er aufmacht, er trägt ein weißes Tanktop und Hosen aus Sweatshirtstoff, hat ein Handtuch um den Hals geschlungen. Er ist überrascht, als er mich sieht. Er wünscht, ich hätte vorher angerufen.
«Aber du rufst ja nie zurück», sage ich.
Seine Kiefermuskeln spannen sich an.
«Du bist immer noch wütend auf mich, und ich glaube, wenn man alles bedenkt, ist das auch verständlich. Aber wir müssen reden.»
Er hält mir die Tür auf, und ich gehe an ihm vorbei in sein Zimmer. Sofort schaue ich Richtung Fernseher, weil ich Charlie dort vermute, aber er ist nicht da.
«Wir müssen über Angela sprechen», sage ich.
Er antwortet nicht. Unabsichtlich, wie es scheint, wandert sein Blick zu einer gerahmten Fotografie auf seiner Kommode, einem Schwarzweißschnappschuss einer Frau, die einen kleinen dunkelhaarigen Jungen in die Luft wirft. Das Foto ist ein wenig verwackelt, denn beide Personen sind in Bewegung, aber der Junge ist unverkennbar Christian, Christian im Alter von zwei oder drei Jahren, schätze ich. Christian und seine Mutter. Zusammen. Glücklich. Beide lachen. Ich höre es beinahe, wenn ich die beiden so betrachte. Ich spüre es fast. Freude. Und ich bin ganz traurig, wenn ich denke, dass er sie verloren hat, als er noch so klein war. Und jetzt auch noch Walter.
Ich drehe mich um und sehe ihn an. Er steht da mit vor der Brust verschränkten Armen, hat total dicht gemacht. «Du weißt schon, dass du mit mir sprechen musst, wenn wir uns unterhalten wollen. Mit Worten und so», sage ich.
«Was soll ich denn sagen? Du hast mich doch stehen lassen, Clara.»
«Ich habe dich stehen lassen?», wiederhole ich ungläubig. «Deshalb bist du wütend? Du wolltest doch unbedingt gehen.»
«Wegen der anderen Sache will ich nicht wütend auf dich sein», sagt er, ohne mir in die Augen zu schauen. «Dagegen kannst du ja nichts machen.»
Manchmal ist er so verständnisvoll, dass es mir den letzten Nerv tötet.
«Aber dann bist du einfach vor meinen Augen verschwunden», sagt er, und ich höre an seiner Stimme, wie gekränkt er ist. «Du bist einfach auf und davon.»
«Tut mir leid», sage ich und meine es auch so.
«Wo bist du hingegangen?», fragt er. «Ich war dann später noch bei deinem Wohnheim, ich wollte mich entschuldigen für das, was ich gesagt habe, oder
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