Unendlichkeit in ihrer Hand
unter Hunger zu leiden wie er selbst. Was sie wohl während all der Zeit taten, die sie nicht in der Höhle verbrachten?
Eines Tages erhielt er frühmorgens die Antwort. Er wurde von einem Schwarm Singvögel geweckt, die sich in der Krone des Feigenbaumes niederließen. Er setzte sich auf einen Stein und sah zu, wie die Amseln im Astwerk herumhüpften, sangen und an den Feigen pickten. Der Hund und die Katze stimmten ein aufgeregtes Gebell und Maunzen an, indes sie um die Feigenbäume strichen. Kain stellte sich auf die Hinterpfoten, als wollte er vom Boden abheben. Den Rücken zu einem Buckel gekrümmt, schüttelte die Katze ihre Schläfrigkeit ab und fixierte die Vögel mit einem unergründlichen Ausdruck. Nachdem sie ein paar Mal die Krallen am Baumstamm gewetzt hatte, streckte sie blitzschnell den Rücken und sprang geschickt auf den niedrigsten Ast. Von dort stieg sie vorsichtig bis in die Baumkrone und duckte sich ins Laub. Adam beobachtete sie fasziniert. Dann sah er sie mit einem raschen Tatzenhieb einen der Vögel fangen und mit den Zähnen am Hals packen. Kräftig maunzend hielt sie mit ihren langen Krallen den Hund in Schach, während sie mit ihrer Beute den Baum wieder herunterkletterte und sich im Gebüsch versteckte.
Adam ging auf Zehenspitzen hinterher, um zu sehen, was sie tat. Er sah sie ein ungleiches Spiel mit dem Vogel beginnen, sich anschleichen und ihm mit Pfoten und Zähnen zusetzen, bis er tot dalag. Dann beobachtete er, wie sie ihm die Zähne ins Fleisch schlug und ihn in aller Ruhe auffraß. Angeekelt wandte sich Adam von dem Schauspiel ab. Kurz darauf erschien die Katze wieder aus ihrem Unterschlupf, leckte sich das Maul und suchte zufrieden ein Sonnenplätzchen zum Ausruhen.
Adam wurde gleichzeitig von unbändigem Hunger und großem Abscheu ergriffen. Er stand reglos da. Er pflückte eine Feige und biss hinein. Er fragte sich, ob das Blut des Vogels wohl anders schmeckte. Und plötzlich ging ihm auf, welche Bewandtnis es mit all den Knochen und Gerüchen auf sich hatte, denen er auf seinen Streifzügen begegnete, den seltsamen Schreien und den Lauten der versteckten Tiger. Lustlos und voller Unwillen musterte er den Feigenbaum, dann spuckte er dessen Frucht aus. Der lange Weg zum Meer und die Austern kamen ihm in den Sinn. Da wusste er, was er zu tun hatte.
Er ging in die Höhle und holte den langen Stecken, dessen Ende er mit einem Stein versehen hatte, um Nüsse zu öffnen und bittere Wurzeln auszugraben. Wo gehst du hin?, fragte Eva. Adam erwiderte, er gehe den Geräuschen einer Tierherde nach, die sich am Rande der Ebene aufhielte, um herauszufinden, ob sie ihn näher kommen ließe. Er verstand selbst nicht, warum er ihr die Wahrheit vorenthielt. Sei vorsichtig, gab sie ihm mit auf den Weg. Das werde ich sein. Dann zog er mit dem Hund los. Die Katze blieb bei Eva.
Die Sonne vom wolkenlosen Himmel wärmte schon. Er beschloss, die dem Garten entgegengesetzte Richtung einzuschlagen, dorthin zu gehen, wo die weiten Steppen lagen und dahinter weitere Felsformationen und Palmgruppen. Falls andere Tiere ebenfalls auf der Suche nach etwas Essbarem umherliefen, musste er damit rechnen, dass sie auch ihn dafür in Betracht zogen. Er hatte Angst, aber er hatte es auch eilig. Kain war genauso unruhig, als verstünde er, auf welcher Mission sich der Mann befand.
Sie waren noch nicht sehr weit gegangen, als Kain die Ohren spitzte. Adam sah den Hasen und ging in die Hocke, um ihn herbeizulocken. Häschen, Häschen. Der junge Hase machte Männchen und hob die Ohren. Der Hund preschte auf ihn los. Als Adam ihn endlich einholte, hielt Kain das Tier schon leblos zwischen den Krallen und riss ihm mit den Zähnen die Fleischfetzen ab. Er rückte ein Stück ab und ließ den Hund in Ruhe fressen. Doch beobachtete er ihn dabei, um festzustellen, was er verzehrte und was er liegen ließ. Ihm fiel auf, mit welcher Selbstverständlichkeit Kain seine Beute vorzeigte, und ebenso, dass der Hund sogar Adam gegenüber eifersüchtig über sein Futter wachte. Denn als der versuchte, näher heranzukommen, knurrte Kain und fletschte die Zähne.
Also wartete der Mann ab. Unruhig erforschten seine Augen den Horizont. Was wohl dahinter war? Befand sich vielleicht unter ihren Füßen ein weiterer Himmel, so wie jener, der sich nachts über sie spannte? Wie mochte das Blut der Tiere schmecken? Mit seinem Stecken trieb er den Hund zur Eile an, weil er seinen Weg fortsetzen wollte. Sie waren nicht weit gekommen,
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