Unendlichkeit in ihrer Hand
das unbegreifliche, riesige Becken auf. Ohne Scheu rannte der Hund, unentwegt bellend, ins Wasser. Die Katze streckte sich gleichgültig im Sand aus und sah aufs Meer hinaus. Adam erzählte Eva von seinen früheren Erkundungsgängen. Er wollte, dass sie sah, was er gesehen hatte. Sie gingen ins Wasser. Die Frau erst vorsichtig. Es war recht mühsam, in der flüssigen Masse vorwärtszukommen, und sie kamen sich dabei unbeholfen und tolpatschig vor.
»Jetzt, Eva«, sagte Adam, als ihnen das Wasser schon bis zum Kinn reichte. »Jetzt musst du untertauchen, die Arme ausbreiten und dich in die Tiefe abstoßen.«
Es war zwecklos. Sosehr sie sich auch abmühte, das Wasser in Nase, Mund und Hals machte ihr die Sache unmöglich, außerdem wurde sie jedes Mal wieder an die Oberfläche getrieben. Verzweifelt mit Armen und Beinen rudernd, versuchte sie an den Strand zurückzugelangen. Adam folgte ihr verwirrt und beschämt. Es ginge nicht mehr so wie früher, erklärte er ihr. Der Körper gehorche ihm nicht mehr auf die gleiche Weise, und er käme nur noch ein paar Stöße in die Tiefe, dabei dringe ihm das Wasser überall ein, und er bekäme keine Luft mehr. Das Meer ist eben nur zum Ansehen da, befand Eva, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten und sich allmählich von den Unmengen geschluckten Salzwassers erholten. Nach diesem misslungenen Versuch ließen sie entmutigt die Köpfe hängen, vor allem Adam war am Boden zerstört. Hatte er ihr doch in schillernden Farben die Unterwasserwelt geschildert. Nun zweifelte er daran, ob er selbst sie je gesehen hatte. Wahrscheinlich war es nur ein Traum gewesen, denn als solchen empfand er inzwischen fast sein ganzes Leben.
»Aber das Meer kann nicht nur zum Ansehen da sein«, widersprach er überzeugt.
Eva streckte sich am Strand aus und schloss die Augen. Die Wellen rauschten ans Ufer wie das stetige Kommen und Gehen der Fragen in ihrem Geist.
Kurze Zeit später kehrte er zurück. Er nahm neben ihr Platz.
»Sieh mal, was ich hier habe«, sagte er, »etwas gegen deinen Hunger.«
Es waren Muscheln, rauh und oval. Als er sie öffnete, kam ein wabernder weißer Stoff zum Vorschein, der ihr den Gaumen herabglitt, als hätte sich das Wasser auf eine zarte, brackige Weise verfestigt. Mit einem Stein schlug Adam die Muscheln auf einem Felsen auf, bis sie die Frucht aus ihrem Innern preisgaben. Austern, sagte er. Austern, wiederholte sie lachend.
»Woher wusstest du, dass sich etwas Essbares darin befindet?«
»Genauso, wie ich ihren Namen wusste. Einfach so.«
Sie kehrten erst am nächsten Tag zur Höhle zurück. Die Nacht verbrachten sie am Strand, einer vom anderen abgerückt, gedemütigt vom Aufruhr ihrer Eingeweide: die Geräusche, die Gerüche, der Abgang. Voller Ekel wuschen sie sich bei Tagesanbruch im Meer. Sie rätselten darüber, ob ihre Körper verfault wären, ob dies eine weitere Strafe sei, weil sie erneut etwas in den Mund gesteckt hatten. Dann sahen sie Hund und Katze urinieren und koten und ihre Haufen mit Sand bedecken.
»Adam, glaubst du, die Tiere wissen, dass sie Tiere sind?«
»Jedenfalls denken sie nicht, sie wären etwas anderes. Sie geraten nicht durcheinander wie wir.«
»Was sind wir noch, außer zwei Tiere?«
»Adam und Eva.«
»Das ist keine Antwort.«
»Eva, Eva, wirst du denn nie müde, Fragen zu stellen?«
»Wenn mir eine Frage einfällt, dann nur, weil es eine Antwort darauf gibt. Und wir sie kennen sollten. Wir haben von der Frucht gegessen, den Garten verloren und wissen trotzdem noch nicht viel mehr als das, was wir ohnehin schon wussten.«
Sie unterhielten sich auf dem Rückweg zur Höhle. Es sei gewiss eine Strafe, glaubte Adam, dass sich der Körper auf diese Weise rächte, wenn sie etwas aßen. Trotzdem fühlte er sich jetzt sehr viel wohler, er hatte mehr Kraft in den Muskeln und war in einer besseren Verfassung.
»Es kommt mir sinnvoll vor, dass der Körper das ausstößt, was so übel riecht. Das erleichtert einen. Und was für eine sonderbare Empfindung damit einhergeht … ganz anders als der Schmerz, nicht wahr?«
Mit einem Lächeln überspielte Eva die Verlegenheit, die das Thema bei ihr auslöste. Sich wie Hund und Katze auf das Einnehmen und Abgeben beschränkt zu sehen ekelte sie nicht nur, es machte sie auch klein. Sie verstand nicht, wie Adam etwas genießen konnte, was sie als demütigend empfand. Es war ihr unverständlich, dass er die Niedrigkeit dieses Vorgangs nicht nachempfinden
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