Unendlichkeit in ihrer Hand
ungewohnter Gefügigkeit, die nach Erde duftende klare Luft, das kühle Licht, das die Umrisse von Felsen und Bäumen reinzeichnete, und der ins Endlose wachsende Himmel tränkten seine Augen und seine Haut. So gering er als Geschöpf auch sein mochte, so gut er inzwischen um seine Verwundbarkeit und um seine Verirrung und Verbannung wusste, so empfand er zugleich die Gewissheit, dass er und sie ganz wesentliche Bestandteile jener verlassenen nächtlichen Landschaft waren.
»Glaubst du, dass wir allein sind, Eva? Glaubst du nicht, es gibt in dieser endlosen Weite noch andere als dich und mich?«
»Es gibt andere. Wir haben sie im Traum gesehen.«
»Meinst du, dass sie sich in uns verstecken? Und sich nur blicken lassen, während wir schlafen?«
»Das weiß ich nicht, Adam.«
Das Wissen, dachte Eva, war kein Leuchten, das mit einem Schlag alle Zweifel ausräumte, wie sie es sich vorgestellt hatte, es war vielmehr eine allmähliche Offenbarung durch Träume und Eingebungen, die an einem inneren Ort bewahrt wurden, an einem Ort, wo noch kein Wort gewesen war; das Wissen war eine langsam zunehmende zärtliche Intimität zwischen ihr und ihrem Körper. In jenem Fluss, im schwellenden Druck ihrer Brüste und ihres Unterleibs, im Schmerz, der jetzt die Stelle einnahm, wo sonst der Mann in sie eintauchte, ahnte sie die Brutstätte des Seins voraus, den Lebensquell, der aus ihr entspringen würde, um sich in ungeahnte Richtungen zu verströmen. An den Tagen, da sie blutete, wollte sie die Höhle nicht verlassen. Eingerollt lag sie da und brachte die Zeit mehr schlafend als wachend zu, als wären Träume die einzige Wirklichkeit für sie.
Kapitel 12
F eigen, Birnen, bittere Früchte, Gräser mit goldenen Grannen, welche das Bedürfnis befriedigten, in etwas hineinzubeißen – Adam sammelte alles, was er für geeignet hielt, ihnen den Hunger zu vertreiben, aber der Hunger kehrte wieder. Wenn er morgens die Augen aufschlug, spürte er ihn schon in der Mitte seines Leibes hocken, wo er wohnte wie ein mächtiges, grausames Geschöpf, das sich seinem Willen entzog. Was, so grübelte der Mann, könnte er ihm geben? Früchte vermochten ihn kaum zu stillen, und das, obwohl er und die Frau deren süßes Fleisch genossen und immer wieder über die Fähigkeit der Bäume staunten, an Zweigen und Blättern Essbares wachsen zu lassen. Auf ihren Erkundungsgängen in der Umgebung der Höhle hatte Adam auch Ameisen und andere Insekten probiert oder Pflanzen mit dicken, saftigen Blättern, deren Inneres seltsam wässrig schmeckte. Er war den Eichhörnchen gefolgt und hatte die harten Kerne gekostet, die sie mit ihren langen Zähnen aufknackten, aber sein Hunger war größer und ließ sich durch all die mit Eva entdeckten und geteilten Kleinigkeiten nicht zum Schweigen bringen.
Im Gegensatz zu ihm wurde die Frau nicht müde, immer wieder die Feigenbäume aufzusuchen, um ihren Hunger zu stillen. Sie war überzeugt, dass das Erscheinen des Phönix mit den Feigen in den Klauen und die Art, wie die Bäume über Nacht aus dem Boden gewachsen waren, ein untrügliches Zeichen für sie waren, die weißen Blütenblätter, von denen sie sich im Garten ernährt hatten, durch diese Frucht zu ersetzen.
Adam kauerte im hohen Gras und wagte nicht, sich den großen Tieren zu nähern, aus Angst vor einer Begegnung wie mit den Hyänen. Nach dem großen Beben nahmen sie deren Gegenwart auch viele Tage lang kaum wahr. Die Erde schwankte noch von Zeit zu Zeit und schien im Übrigen still und leer. Doch nach und nach erklang wieder das vielstimmige Konzert aus teils vertrauten, teils nicht zuzuordnenden Tönen, die sich in die Lüfte schwangen, um bis zu ihnen zu reisen. Des Nachts lauschten sie dem Heulen der Wölfe und Kojoten, und tagsüber trug ihnen der Wind aus der Ferne das Brüllen der Löwen und das kräftige Trompeten der Elefanten zu. Kleinere Tiere wie Fasane, Affen, Maulwürfe, Dachse und Hasen bewegten sich raschelnd im hohen Gras, und manchmal konnten sie sich anschleichen und einen Blick mit ihnen tauschen, ehe die Tiere, vom gleichen Schrecken beseelt, der sie selbst beim Anblick der Hyänen gepackt hatte, davonhuschten und im Dickicht untertauchten. Schwärme von Störchen, Reihern und Enten zogen über ihre Köpfe hinweg. Eva sagte, bei ihren Schreien werde ihr ganz schwer ums Herz, so viele Fragen und Forderungen lägen darin.
Der Hund und die Katze machten Adam neugierig. Obwohl sie kaum Früchte aßen, schienen sie nicht
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