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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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Vogel rasch herbeigeflogen. Er ballte die Fäuste. Was sollte ein Vogel schon ausrichten, um dem Feuer Einhalt zu gebieten? Verblüfft sah er, wie sich das Tier mit ausgebreiteten Flügeln auf der brennenden Höhle niederließ. Und mit einem Mal hielt das Feuer, das sich schon in alle Richtungen ausgebreitet hatte, inne und lief im Leib des Vogels zusammen, als wäre es ein zahmes Geschöpf, das einem unabwendbaren Ruf gehorchen müsste. Die Gestalt des Vogels sog das Feuer auf wie ein Schwamm, wurde größer und größer, damit es in ihm Raum fand. Schon umzingelte ihn der Brandherd, und die Flammen leckten ihm das Gefieder, ohne dass sich der Phönix im Geringsten gerührt hätte. Schließlich breitete der kolossale, wie eine Sonne brennende Vogel über der Höhle die Schwingen aus und hob den Kopf. Reglos staunend sah Adam die weißglühende Gestalt für Minuten in Flammen stehen, ohne verzehrt zu werden, und dann langsam, ohne die Haltung einer herrlichen Statue aufzugeben, zu einem Häufchen Asche zerfallen. Als das Feuer erlosch, erwachte der Mann aus seinem Zustand ohnmächtigen Schreckens und stürzte, den verkohlten Zweigen des Feigenbaumes ausweichend, zum Höhleneingang. Von den Wänden löste sich ein heißer Dunst, aber der Weg war frei. Er fand Eva zitternd unter der Quelle hocken, aus der kaum noch ein Fädchen Wasser floss.
    »Das war die Schlange, Adam. Sie hat gesagt, du hättest jetzt getötet, deshalb solltest du auch das Feuer kennenlernen. Was hast du getan?«
    »Lass uns hinausgehen. Ich werde dir alles erklären, aber komm bloß hier raus.«
     
    Der Tag ging zur Neige. Der Himmel bestand aus lauter rosa und purpurnen Fetzen. Er spürte Evas warme Haut neben sich. Adam tat es leid um den Phönix. Und sie hatten ihn für unsterblich gehalten, dachte er. Die feurige Silhouette brannte in seiner Erinnerung fort. Voller Rührung zeigte er der Frau die zu Asche zerfallenen Reste.
    Während er Blätter suchte, um sich den Ruß von Gesicht und Körper zu wischen, setzte sich Eva auf die Steine. Ganz in den Anblick der Höhle und der toten Feigenbäume versunken, bemerkte sie unversehens, wie ein leichter Wind durch die Asche des Vogels fuhr. Er hob sie hoch und ließ sie immer wieder zur Erde rieseln, als wollte er sie sortieren, ehe er sie mit sich forttrug. Das Aschehäufchen auf dem Felsen regte sich, ohne zerstreut zu werden, wechselte dann die Farbe, wandelte sich langsam zu roten und goldenen Federn und ordnete sich flatternd zu einer Form, die im Gedächtnis des Windes fortzubestehen schien. Dann tauchte unerwartet aus dem Gefieder der Kopf auf. Sich aus der Vernichtung emporreckend, als wäre er soeben erwacht, schüttelte der Vogel sich, und die zahllosen Federn seines Kleides kehrten an ihren ursprünglichen Platz zurück. Voll Freude – denn möglicherweise begriff er soeben erst den Zyklus, den seine Natur bis in alle Ewigkeit wiederholen würde – öffnete der Phönix seine ungewöhnlichen Schwingen, stieß sich anmutig ab und erhob sich mit einem lustvollen Laut in die Lüfte empor. Mit offenen Mündern sahen Adam und Eva ihn in die Farben des Abendrots eintauchen und am Horizont verschwinden.
    »Glaubst du, dass mit uns das Gleiche passiert, wenn wir sterben?«
    »Keine Ahnung, Eva, ich weiß es nicht.«
     

    Audio: Der Phönix (04:16)
     
    Die Sonne ging unter. Mann und Frau suchten in einem Winkel zwischen den Felsen unter freiem Himmel Deckung vor der einbrechenden Nacht: Sie hatten versucht, in die Höhle zurückzukehren, aber die Wände strahlten noch zu viel Hitze ab, und die Haut schmerzte, wenn sie damit in Berührung kam. Von ihrem Schlafplatz aus sahen sie ein orangefarbiges Leuchten im Innern. Glut. Adam schlang die Arme um Eva. Ihr Haar roch nach Rauch. Diese Schlange ist eine Verräterin, dachte er. Doppelzüngig ist sie. Freundin und Feindin in einem. Das verwirrte ihn.
     
    »Wir haben nichts mehr zu essen«, sagte Eva mit einem Blick auf die verkohlten Feigenbäume.
    »Ich habe etwas mitgebracht«, erwiderte Adam.
    Er erhob sich und holte den Hasen, den er in die Astgabel eines nahen Baumes gehängt hatte. Er legte ihn Eva vor die Füße und wartete auf ihre Reaktion. Was für ihn nach etwas Essbarem aussah, war für sie ein starres, blutverschmiertes Tier. Mit einem Aufschrei schlug sie die Hände vors Gesicht.
    »Ist der tot, Adam, oder wird er wieder lebendig wie der Phönix?«
    »Nein, er ist tot.«
    Sie nahm die Hände weg, berührte das weiche, leblose

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