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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gioconda Belli
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gegen Abel gewandt. In blinder Wut. Abel hat sich nicht gewehrt, nur die Hände vors Gesicht geschlagen. Ich musste Kain von ihm fortreißen. Am Ende haben sie beide geweint. Kain ist bis hierher gerannt. Abel ist verstummt. Er hat kein einziges Wort mehr gesagt. Ich habe ihn angesprochen, habe versucht, es ihm zu erklären. Er hat mich nur angesehen. Es ist schrecklich«, sagte er.
    Eva führte ihn aus der Höhle nach draußen. Sie ging mit ihm zu einem Felsen im Schatten des Palmenhains, der sich zu beiden Seiten ihrer neuen Bleibe erstreckte. Sie zitterte noch, voller Angst und Ärger. Als sie sich gesetzt hatte, lehnte sie sich mit dem Rücken an den Stein. Sie wusste nicht, wie es war, wenn man sich einen Knochen brach, vermutete aber, dass es auch unsichtbare Knochenbrüche gab, die einen schwächten.
    »Was jetzt, Adam? Das hier ist wie eine weitere Strafe.«
    »Wir haben gehorcht. Wir haben das Zeichen am Himmel gesehen. Da hast du nachgegeben.«
    »Wir haben das Paradies verloren. Was werden wir diesmal verlieren?«
    »Ich weiß es nicht, Eva. Diese Prüfung ist wahrscheinlich für unsere Kinder bestimmt. Elohim will vielleicht ihre Freiheit auf die Probe stellen und feststellen, ob sie ihm gehorchen.«
    »Ich weiß nicht, was für eine Freiheit das sein soll.«
     
    Eva wiegte den Kopf hin und her. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen, ohne weinen zu können. Sie wollte ihre Kinder schützen. Dass dies die Prüfung sein sollte, damit sie ihre Unschuld verloren, das wollte ihr nicht einleuchten. Die Freiheit war ein Geschenk, das hatte die Schlange zu ihr gesagt. Aber offenbar hatte Elohim selber keine Ahnung davon, was die Freiheit war. Einerseits wollte er, dass sie frei waren, und andererseits band er sie an diese unverständlichen Befehle. Woraus bestand er eigentlich? Auch aus Zweifeln, so wie wir?, fragte sie sich.
    »Was nun, Adam? Wie wollen wir ihn besänftigen?«
    »Die Zeit, Eva. Kain und Abel sind Brüder. Kain wird mit der Zeit verstehen, dass es nicht Abel war, der diese Entscheidung getroffen hat«, sagte Adam. »Er muss einsehen, dass das Blut nicht vermischt werden darf. Ich werde sie losschicken, gemeinsam ein Opfer zu bringen. Du und ich, wir werden sie davon überzeugen, sich zu versöhnen und Elohims Weisungen zu verstehen.«
    »So gut, wie du und ich sie verstanden haben?«, wollte Eva nicht ohne Ironie von ihm wissen.
     
    Am nächsten Tag war Kain noch immer nicht zurück.
    »Ich werde Aklia losschicken, Kain zu suchen«, sagte Adam.
    »Nein! Schick nicht Aklia«, versetzte Eva. »Ich fürchte, dass er ihr etwas antun könnte. Lass uns Luluwa bitten. Auf sie wird er hören. Den beiden tut es sicher gut, miteinander zu reden.«
     
    Eva forderte Luluwa auf, sich aus der Höhlenecke zu erheben, in der sie seit dem Vorabend mit angezogenen Beinen und dem Gesicht zwischen den Knien hockte und schluchzte. Sie betrachtete ihre Tochter. Wie jung sie war. Ihr Gesicht und ihre Züge streiften das Kindliche schon ab, während der Körper die neue Sprache erst stammelnd erprobte. Sie fragte sich, wie sich ihre Kinder wohl fühlten. Wie mochte dieser Übergang vom Kind zum Erwachsenen, den sie und Adam nie erlebt hatten, wohl sein? Was sie allerdings gut kannte, war die dazugehörige Unbeugsamkeit, das Bedürfnis, sich Forderungen zu widersetzen, deren Gründe man einfach nicht einsah. Und sie kannte die Folgen.
    »Geh Kain suchen, Luluwa.«
    Aklia brach in Tränen aus. In Abels verwirrtem Antlitz spiegelte sich Bedrückung.
    Luluwa machte sich auf die Suche nach Kain. Um die Mittagsstunde brach sie auf und kehrte mit ihm zurück, als sich der Abend senkte. Viele Stunden. Eva musterte ihre Gesichter und fand sie vom Schmerz erlöst. Sie sind ungehorsam gewesen, dachte sie. Sie also auch.
     
    Kain ging vor Eva auf die Knie. Er bat sie um Vergebung. Eva legte die Arme um ihn. Sie zog ihn fest an sich. Was wird deine Strafe sein, mein Sohn?, dachte sie.

Kapitel 27
    A dam befahl seinen Söhnen, die Gaben vorzubereiten, die sie Elohim opfern wollten.
    Kain wollte nicht mit Aklia gehen. Als Luluwa mit Abel loszog, saß er noch da und sortierte sein Werkzeug. Das Mädchen warf ihm im Vorübergehen einen Blick zu. Ihre Augen loderten. Eva bemerkte den Austausch. Sie sah, wie sich Kains Arm anspannte und sich die Hand um den Feuerstein schloss.
     
    Der Altar, auf den Adam gewöhnlich seine Gaben legte, befand sich unweit der alten Höhle, im Süden der roten Ebene, wo in einer Felsengruppe ein

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