Unendlichkeit in ihrer Hand
alle nach draußen und sahen den vollen Mond am Firmament stehen und davor ein großes schwarzes Maul, das bereits am Rand nagte. Das Maul öffnete sich immer weiter; ein Maul aus Dunst, das den schwachen Schein der wehrlosen Scheibe verdunkelte. Unerklärlich. Ein Zeichen, dachte Adam.
Evas Befürchtungen hatten ihn davon abgehalten, Elohims Weisung zu befolgen: Abel mit Luluwa, Kain mit Aklia.
Jetzt würde der Andere den Mond auffressen. Und ihre Nächte würden schwärzer werden. Er warf Eva einen Blick zu. Trotz der Finsternis bemerkte er ihr angstverzerrtes Gesicht.
Was ist das? Was geschieht da?, wollten die Kinder wissen. Evas Eingeweide krampften sich schmerzhaft zusammen.
Adam hatte recht. Sie mochte fürchten, was sie wollte, diesmal konnte sie sich Elohims Willen nicht widersetzen und die Träume des Mannes abtun, während sie ihre eigenen, in denen die Schlange erschien und mit ihr sprach, ernst nahm. Unausdenkbar war die Strafe, die Elohim ihnen auferlegen würde, wenn sie erneut ungehorsam waren und wieder sie es war, die den Mann zum Ungehorsam anstiftete.Und es stimmte, dass ihr Körper schon seit mehreren Tagen das Vorgefühl eines Unglücks mit sich umhertrug. Der Mond verbreitete jetzt einen matten, mandelfarbigen Schein. Er schien sich oben am Himmel auf einen leuchtenden Sockel zu plazieren, dessen schimmernde Oberfläche mit einem Mal einem Meer glich.
»Es ist eine Wolke«, sagte Eva, um die Zwillinge zu beruhigen. »Es ist, als wäre ihm kalt und er hätte sich in eine Wolke gehüllt.«
Adam trat zu ihr. Er wies mit der Hand zum Himmel und sah sie dabei fest an. Sie verstand.
»Tu es«, sagte sie. »Sprich mit ihnen.«
Kurz darauf sahen sie, wie der Mond rund und rot hinter dem kupferfarbenen Schleier auftauchte. Vollständig. Unbeschädigt.
Kapitel 25
A ls er im Norden der Spur der Bisons folgte, war Adam vor einiger Zeit auf ein fruchtbares Tal gestoßen, wo die Jagd sehr ergiebig war. Dorthin wollte er seine Söhne führen, um mit ihnen zu sprechen und ihnen zu eröffnen, welche der Schwestern ihnen bestimmt war. Eva wollte Aklia schonen. Sie fürchtete, Kain würde sie als Ersatz für Luluwa nicht akzeptieren. Deshalb bat sie Adam, erst zur Höhle zurückzukehren, wenn sich Kain wieder beruhigt hatte.
Wenige Tage später brachen sie in aller Frühe auf. Ohne sich ihre Sorgen anmerken zu lassen, machte sich Eva mit ihnen auf den Weg. Sie begleitete die Männer, bis die Sonne hoch stand. Am Horizont waren die Umrisse der dunklen Berge unter dem stürmischen Herbsthimmel zu sehen. Der Boden war mit ockerfarbenem Laub bedeckt, das unter ihren Füßen raschelte. Der Fluss war trüb vom vielen Regen, die Erde an seinen Ufern aufgeschwemmt, Wurzeln und Steine lagen unter Wasser. Als sie sich trennten, bat Eva sie, mit der Hand ein Zeichen zu geben, sobald sie das Ende des Tals erreicht hatten. So würde sie ihre Männer noch einmal aus der Ferne sehen können.
Als sie darum bat, reagierten die Söhne befremdet, weil sie es gewohnt waren, ohne große Umstände verabschiedet zu werden. Das entging ihr nicht. Kain vermutete sicher, sie täte es ihm zuliebe, überlegte sie. Denn sie zogen fast nie zu dritt los. Der Vater bat ihn nur selten, mitzukommen. In der Regel nahm er Abel mit und ließ Kain mit den Frauen oder alleine Pilze sammeln oder fruchtbares Land für seine Saaten suchen. Es war ihm anzumerken, wie er sich freute, dass der Vater ihn diesmal gebeten hatte, sie zu begleiten. Auch Abel war guter Laune. Er liebte den älteren Bruder. Als kleiner Junge war er ihm überallhin gefolgt und hatte ihm alles nachgeahmt. Seine Versuche, mit dem Größeren Schritt zu halten, hatten oftmals mit den unvermeidlichen Kindheitsunfällen geendet. Dann musste Kain den Zorn des Vaters über sich ergehen lassen, der ihn zur Rechenschaft zog, weil er nicht besser auf den Jüngeren aufgepasst hatte.
Eva wartete auf einem Hügel, bis sie die Männer das vereinbarte Handzeichen geben und anschließend im Wald verschwinden sah.
Dann setzte sie sich auf die Erde und brach in Tränen aus.
»Eva, Eva, wisch die Tränen ab.«
Neben ihr saß die Schlange. Sie kroch nicht. Sie hatte die gleiche Gestalt wie damals, als sie sich zum ersten Mal im Paradies begegnet waren.
»Ich habe von dir geträumt«, sagte Eva überrascht. »Und in meinem Traum warst du wie vorher und wie jetzt auch. Hat Elohim dir vergeben?«
»Ja.«
»Glaubst du, dass er uns auch vergeben wird?«
»Vielleicht, auf
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