Unendlichkeit
jedem Mal eroberte die Seuche etwas mehr von ihm und seiner Umgebung –, aber sie waren doch kleine Oasen menschlicher Nähe in diesen Wochen, in denen sie sich ansonsten nur mit Viren, Waffen und dem zunehmenden Verfall des Schiffs beschäftigen konnte.
Deshalb sah Volyova diesen Begegnungen mit einer gewissen Vorfreude entgegen, auch wenn der Captain nur selten erkennen ließ, dass er sich an frühere Unterhaltungen erinnerte. Obendrein hatte sich ihr Verhältnis in letzter Zeit etwas abgekühlt. Zum Teil war das wohl damit zu erklären, dass es Sajaki nicht gelungen war, Sylveste im Yellowstone-System aufzuspüren, und sich die Tortur des Captains somit mindestens um ein weiteres halbes Jahrzehnt verlängerte – vielleicht auch mehr, falls Sylveste auch auf Resurgam nicht zu finden wäre, was Volyova zumindest theoretisch für möglich hielt. Für sie bestand die Schwierigkeit darin, dass der Captain sich immer wieder nach den Fortschritten bei der Suche nach Sylveste erkundigte und sie ihm immer wieder beibringen musste, dass man nicht die gewünschten Erfolge zu verzeichnen habe. Das nahm der Captain nicht sonderlich gut auf – was sie ihm nicht verdenken konnte –, und oft verdüsterte sich seine Stimmung so stark, dass er nicht mehr ansprechbar war. Wenn sie Tage oder Wochen später einen neuen Versuch unternahm, hatte er vergessen, was sie ihm erzählt hatte, und das Ganze begann von vorn, nur dass Volyova dieses Mal nach Kräften versuchte, ihm die schlechte Nachricht schonender beizubringen oder ihr eine optimistische Färbung zu geben.
Freilich trug auch Volyova selbst dazu bei, einen Schatten auf ihre Beziehung zu werfen, indem sie nicht aufhörte, den Captain mit bohrenden Fragen nach seinem und Sajakis Besuch bei den Musterschiebern zu bedrängen. Ihr Interesse an dieser Episode war erst in den letzten Jahren erwacht, genauer gesagt, seit ihr aufgefallen war, dass sich etwa seit damals Sajakis Persönlichkeit verändert hatte. Natürlich ging man zu den Schiebern, um Eingriffe an seinem Bewusstsein vornehmen zu lassen – aber warum sollte Sajaki einer Verschlechterung zugestimmt haben? Er war jetzt grausamer als früher; aus einem entschlossenen, aber gerechten Führer, einem geschätzten Mitglied des Triumvirats, war ein sturer Despot geworden. Volyova hatte so gut wie jedes Vertrauen zu ihm verloren. Doch anstatt etwas Licht in die Geschichte zu bringen, wehrte der Captain ihre Fragen gereizt ab, mit dem Erfolg, dass sie sich nur noch mehr verrannte.
Unter solchen Gedanken war sie nun zu ihm unterwegs. Wie sollte sie die unvermeidliche Frage nach Sylveste beantworten? Wie sollte sie diesmal vorgehen, um den Captain nach den Schiebern auszuforschen? Sie hatte die übliche Route gewählt, und die führte durch den Geschützpark.
Dort angekommen, bemerkte sie, dass eins der Geschütze – zufällig eines, das sie besonders fürchtete – offenbar bewegt worden war.
»Es hat neue Entwicklungen gegeben«, sagte die Mademoiselle. »Günstige und weniger günstige.«
Khouri war überrascht. Sie hätte nicht erwartet, überhaupt bei Bewusstsein zu sein, geschweige denn, die Mademoiselle zu hören. Sie war in einen Kälteschlaftank gestiegen, das war das Letzte, woran sie sich erinnerte. Volyova hatte auf sie niedergesehen und dabei Befehle in ihr Armband getippt. Jetzt sah und spürte sie zwar nichts, nicht einmal die Kälte, aber sie wusste, dass sie – unerklärlicherweise – immer noch im Tank lag und in gewissem Sinne auch schlief.
»Wo bin ich? In welcher Zeit?«
»Immer noch an Bord; auf halbem Wege nach Resurgam. Wir fliegen jetzt sehr schnell; weniger als ein Prozent unter Lichtgeschwindigkeit. Ich habe Ihre Neuraltemperatur ein wenig erhöht – nur so weit, dass wir miteinander sprechen können.«
»Wird das Volyova nicht auffallen?«
»Leider haben wir sehr viel dringendere Probleme als das. Erinnern Sie sich an den Geschützpark und an den blinden Passagier, den ich im System des Feuerleitstands entdeckt hatte?« Die Mademoiselle wartete keine Antwort ab. »Die Botschaft der Bluthunde war nicht leicht zu entschlüsseln. Doch in den folgenden drei Jahren… gelang es mir, die Zeichen klarer zu deuten.«
Khouri stellte sich vor, wie die Mademoiselle ihren Hunden die Bäuche aufschnitt und die hervorquellenden Eingeweide studierte.
»Der blinde Passagier existiert also wirklich?«
»O ja. Und er ist ein Feind, aber dazu kommen wir gleich.«
»Irgendein Hinweis, um was für ein
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