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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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fort: »Mein Schieber-Transform löste sich allmählich auf. Die Schwerkraftfelder um den Schleier gingen zum Angriff über. Carine war dem Tod geweiht, wenn ich meine Hälfte des Kontaktmoduls nicht absprengte.«
    Er sah förmlich vor sich, wie sie sich bemühte, diese Aussage mit der Schablone zur Deckung zu bringen, die sie im Kopf hatte, mit der allgemein verbreiteten Geschichte, mit der sie aufgewachsen war. Was er da sagte, konnte, durfte nicht wahr sein. Es war doch alles ganz einfach gewesen. Lefevres Transform war zerfallen; Lefevre hatte das große Opfer gebracht und ihre Hälfte des Kontaktmoduls abgesprengt, um Sylveste die Chance zu geben, den brutalen Zusammenstoß mit dem absolut Fremden zu überstehen. Es konnte nicht anders sein. Sie wusste es zu genau.
    Aber was sie wusste, stimmte nicht.
    »Genau das hätte ich tun sollen. Im Nachhinein sagt sich das leicht. Aber damals brachte ich es nicht über mich.« Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, und er wusste nicht, ob ihm dieser Umstand in dem Moment eine Hilfe war oder nicht. »Ich konnte die Sprengladungen nicht zünden.«
    »Warum nicht?«
    Jetzt möchte sie hören, dass es physisch unmöglich war, dachte er. Dass der ruhige Raumabschnitt zu eng geworden war, dass er sich nicht mehr hatte bewegen können; dass ihn die Gravitationswirbel lähmten, während sie ihm zugleich das Fleisch von den Knochen rissen. Aber das wäre eine Lüge gewesen, und über die Lügen war er jetzt hinaus.
    »Ich hatte Angst«, sagte Sylveste. »Ich hatte so viel Angst wie noch nie in meinem Leben. Ich wollte nicht da draußen in der Fremde sterben. Ich hatte Angst um meine Seele. Was würde aus ihr werden an diesem Ort? Im ›Raum der Erkenntnis‹, wie Lascaille sich ausdrückte.« Er räusperte sich. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. »Völlig irrational, aber so empfand ich nun einmal. Auf die Angst hatten uns die Simulationen nicht vorbereitet.«
    »Aber du hast es geschafft.«
    »Das Schiff wurde durch Gravitationswirbel auseinandergerissen; sie übernahmen die Aufgabe der Sprengladungen. Ich blieb am Leben… und das ist mir unbegreiflich. Eigentlich müsste ich tot sein.«
    »Und Carine?«
    Bevor er antworten konnte – Wenn er eine Antwort gehabt hätte! –, stieg ihnen ein widerlich süßer Geruch in die Nase. Wieder Schlafgas, aber diesmal konzentrierter. Es drang in seine Lungen und reizte ihn zum Niesen. Er vergaß Lascailles Schleier, vergaß Carine, vergaß, dass er an ihrem Schicksal schuld war. Plötzlich gab es im ganzen Universum nichts Wichtigeres als diesen Niesreiz.
    Und den Drang, sich die Haut vom Leibe zu reißen.
    Ein Mann zeichnete sich vor dem Blau ab. Sein Gesicht war unter der Maske nicht zu erkennen, aber seine Haltung drückte nur gelangweilte Gleichgültigkeit aus. Lässig hob er den linken Arm. Zuerst schien es, als hielte er ein Megafon, aber dafür verriet die Bewegung zu viel Entschlossenheit. Er zielte in aller Ruhe, bis die trichterförmige Waffe genau auf Sylvestes Augen gerichtet war.
    Dann zog er den Abzug durch – kein Laut war zu hören –, und ein glühender Schmerzpfeil bohrte sich in Sylvestes Gehirn.

Neun
    Mantell, Nord-Nekhebet, Resurgam, 2566
    »Tut mir Leid wegen der Augen«, sagte eine Stimme, nachdem er eine Ewigkeit lang qualvoll herumgeschüttelt worden war.
    Sylveste war zunächst verwirrt und hatte Mühe, die Ereignisse in die richtige Reihenfolge zu bringen. Irgendwo in der jüngsten Vergangenheit lagen die Hochzeit, die Morde, die Flucht ins Labyrinth und das Beruhigungsgas, aber das ging alles durcheinander. Es war, als sollte er aus einer Hand voll nicht nummerierter Fragmente eine Biografie zusammenstellen, eine Biografie aus Einzelepisoden, die ihm aufreizend bekannt vorkamen.
    Der unglaubliche Schmerz in seinem Kopf, als der Mann die Waffe auf ihn richtete…
    Er war blind.
    Die Welt war verschwunden, ersetzt durch ein starres, graues Mosaik: das Bild, das seine Augen nach einer Notabschaltung zeigten. Calvins Werk war schwer beschädigt worden. Die Augen hatten nicht nur abgeschaltet, sie waren zerstört.
    »Es war besser für Sie, uns nicht zu sehen.« Die Stimme war jetzt ganz nahe. »Wir hätten Ihnen die Augen verbinden können, aber wir wussten nicht genau, wozu diese kleinen Wunderwerke fähig waren. Vielleicht hätten sie durch jeden Stoff hindurchsehen können. So war es einfacher. Ein konzentrierter EMP… wahrscheinlich nicht ganz schmerzlos. Hat ein paar Schaltkreise geschrottet. Tut mir Leid.«

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